Es war ein turbulenter Tag mit vielen Interviews, Gratulationen und ersten Antrittsterminen. Am Abend saß Jan Philipp Gloger dann auch noch selbst im Zuschauerraum jenes Theaters, das er ab der Saison 2025/26 als Intendant leiten wird: das Wiener Volkstheater. Zur Einstimmung aufs Wienerische bei „Heit bin e ned munta wuan“ – Wolfgang Menardis Liebeserklärung an den Tod mithilfe von Texten der Wiener Gruppe. Seinen ersten Eindruck vom Haus, in dem er bis dato vier Vorstellungen besuchte, fasst er im Interview mit der Kleinen Zeitung wie folgt zusammen: „Es ist der drittgrößte Zuschauerraum im deutschsprachigen Raum und ganz schön überwältigend, hat wirkliche Theaterpatina, ist frisch renoviert und macht wirklich Lust aufs Theater. Mich ziehen große Räume an. Ich mag die Herausforderung.“
Der 42-jährige Deutsche übernimmt ab der Saison 2025/26 die Intendanz am Volkstheater, nachdem der aktuelle Direktor Kay Voges nach Köln weiterzieht und den Posten von Stefan Bachmann übernimmt, der kommenden Herbst das Burgtheater leiten wird. In der munteren Personalrochade steht Gloger am Standort Wien auf alle Fälle für eine neue Generation Theaterleitender: „Lotte de Beer (Anm. Volksoper) und ich teilen uns denselben Jahrgang. Ich stehe auch für einen Generationenwechsel und möchte Regisseurinnen und Regisseure von Mitte 30 bis 40 verstärkt engagieren und frische Stimmen ans Haus holen“, sagt er.
Gloger ist kein Unbekannter in Wien. Im September 2022 gab er mit Millöckers „Die Dubarry“ sein Volksopern-Debüt, im Herbst 2023 inszenierte er „Die Nebenwirkungen“ am Burgtheater. Und, wie betont wurde, an beiden Abenden werde viel gelacht. Am Volkstheater hat der derzeitige Schauspieldirektor in Nürnberg, der im Sommer bei den Bregenzer Festspielen Rossinis "Tancredi" inszenieren wird, noch nie Regie geführt.
„Ich fühle mich hier wirklich am richtigen Ort, am richtigen Haus in der richtigen Stadt“, sagte der 42-Jährige, der gleichermaßen Oper und Schauspiel inszeniert. Den Begriff des Volkstheaters nehme er wörtlich: Es gehe ihm darum, „Gemeinschaft zu stiften“ und ein in Bezug auf Alter, Herkunft, sozialem Hintergrund, Bildungsschicht heterogenes und diverses Publikum zusammenzubringen. Zwei seiner Maxime seien „Kunstfühligkeit und Breitenwirksamkeit“, sagt der zukünftige künstlerische Leiter am Volkstheater. Er wolle ein angriffslustiges Theater mit Haltung machen. Ein Theater mit Humor; der Absurdität und Schärfe inkludieren könne. Den „großen Vereinfachungsmaschinerien unserer Zeit – also Krieg und Populismus –“ könne man nur mit Komplexität und Differenziertheit begegnen. „So können wir den Volksbegriff im Theater für uns verteidigen“, sagt Gloger bei der Präsentation.
Gegenüber der Kleinen Zeitung konkretisiert er seinen Zugang zum Humor am Theater: „Für mich ist es eine Traumvorstellung, dass unterschiedliche Menschen – betreffend ihre sozialen Schichten, ihr Alter, ihr kultureller Hintergrund – im Theater sitzen und lachen. Denn: Lachen kann verbinden und eine Gemeinschaft herstellen. Ich erachte das vor zunehmender gesellschaftlicher Zerrissenheit als wichtig. Lachen ist physisch; man gibt etwas preis, ist berührt.“ Und: „Ich möchte im Volkstheater viele Angebote für viele gesellschaftliche Gruppen machen und in den Bezirken mehr über das Mittel der Partizipation wagen.“
Seit 2018/19 war er Schauspieldirektor am Staatstheater Nürnberg und verhalf dem Haus mit seinen drei Bühnen nicht nur zu „vielen ausverkauften Vorstellungen“, sondern auch zu überregionalem Ruhm. Mit Rieke Süßkows Schwab-Inszenierung „ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM“ ist das Theater erstmals zum Berliner Theatertreffen 2024 eingeladen. Diese junge Regisseurin und Nestroy-Preisträgerin (Jahrgang 1990), die Glogers Angaben zufolge auch ihren Lebensmittelpunkt in Wien hat, will der designierte Intendant an sein Haus binden; ebenso wie den Musiker Kostia Rapoport als Hausmusiker. Den Mix „Schauspiel und Musik“ will er als einen seiner Schwerpunkte etablieren.
Wird er auch Opern oder Musiktheater ans Haus holen? „Für klassische Opern oder Musiktheater gibt es in Wien schon drei Häuser, das werde ich nicht als viertes Haus versuchen. Aber einer von vielen Programmpunkten wird Schauspiel und Musik sein, Inszenierungen zwischen Klang und Sprache, Sinn und Irrsinn. In Nürnberg habe ich ein recht musikalisches Ensemble, auch hier am Volkstheater gibt es eine ausgebildete Opernsängerin zum Beispiel. Es wäre schön, den einen oder anderen zu haben, der ein Musikinstrument spielt oder eine Gesangsausbildung hat.“ Apropos: In Schauspielerinnen und Schauspieler, erklärte er vor der grantelnden Wiener Presse, müsse man „sich verlieben“. In Nürnberg arbeite er mit vielen Menschen aus seinem Ensemble bereits seit 15 Jahren zusammen, den einen oder die eine werde er wohl mitbringen.
Österreichische Dramatik
Einige Uraufführungen von Stücken von Philipp Löhle, von Elfriede Jelineks „Das Licht im Kasten“ am Düsseldorfer Schauspielhaus oder die Deutschsprachige Erstaufführung von Ayad Aktars „Junk“ am Deutschen Schauspielhaus Hamburg belegen sein Interesse an zeitgenössischer Dramatik. Und ein Faible für österreichische Dramatikerinnen und Dramatiker: Nebst Jelinek inszenierte er auch Werke von Thomas Köck, Arthur Schnitzler oder Ödön von Horvath. Opern inszeniert er seit 2010, etwa an der Oper Zürich, an der Semperoper Dresden, am Royal Opera House in London, in Frankfurt und Amsterdam sowie bei den Bayreuther Festspielen, wo er 2012 Richard Wagners „Der Fliegende Holländer“ umsetzte. An der Oper Köln bringt er am 14. April Verdis „Un ballo in maschera“ heraus.
„Mit Abstand der beste Kandidat“
„Jan Philipp Gloger ist der optimale zukünftige Direktor des Volkstheaters, so die einhellige Meinung der Findungskommission“, versicherte deren Vorsitzender Roland Geyer. Nachsatz: Er sei „mit Abstand der beste Kandidat“ gewesen. „Er war nicht mit anderen gleichrangig, sondern führend“, erklärter dieser. 47 Bewerbungen von Einzelpersonen oder Teams waren eingegangen, der Frauenanteil lag bei 50 Prozent. Kultur-Staatssekretärin Andrea Mayer lobte Gloger als einen Mann, der „auf Menschen zugehen und sie begeistern kann“. Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler war ebenso vom eingereichten Konzept mit den Regie-Handschriften, dramatischen Texten sowie den „Verbindungen zu Wien“ überzeugt.