Es muss für ihn, den Parade-Narzissten, ein posthumer Triumph sondergleichen sein. Auch 30 Jahre nach seinem Tod (29. Juni 1994) beschäftigt sich die Nachwelt noch immer mit ihm, seinen Verbrechen, seinem Psychogramm, seinem Werdegang vom Frauenmörder zum vermeintlich geläuterten „Häfnliteraten“ und wieder zurück ins Fegefeuer des seriellen Mordes. Der „Fall Unterweger“ schockiert und fasziniert gleichermaßen, ist doch in ihm die gesamte Palette menschlichen Verhaltens und menschlicher Abgründe enthalten.

„Austrian Psycho“ heißt ein aktuelles Buch des deutschen Journalisten und Autors Malte Herwig, und der reißerische Titel ist natürlich eine ganz gewusste Anspielung auf den Kultroman „American Psycho“ von Bret Easton Ellis, in dem es ebenfalls um Sex, Gewalt und Mord geht. Herwig hat eine originelle Erzähltechnik gewählt: Er erfindet einen Schriftsteller, der sich damals für Unterweger eingesetzt hat, lässt ihn die Geschichte erzählen; und er – Malte Herwig – führt mit diesem „Verführten“ einen fiktiven Dialog, in dem er die Rolle des Zweiflers innehat, der den dichtenden Mörder durchschaut hat und in ihm den großen Manipulator, Plagiator und Maskenmann sieht. „Austrian Psycho“ ist also literarisch grundiert, fußt aber auf umfangreichem Recherchematerial, das Herwig zusammengetragen hat.

Der „Fall Unterweger“

Der „Fall Unterweger“ im Schnelldurchlauf: 1976 wegen Mordes an einer jungen Frau in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt, beginnt er im Gefängnis zu schreiben und veröffentlicht schließlich 1983 den autobiografischen Roman „Fegefeuer“, der für ihn zum Schlüssel für eine bedingte Entlassung nach 15 Jahren werden sollte. Namhafte Prominente aus dem kulturellen Leben – von Elfriede Jelinek bis Günter Nenning – haben sich für Unterweger eingesetzt, galt er doch als Paradebeispiel für gelungene Resozialisierung. 1990 aus der Haft entlassen, beginnt bald eine Serie von Prostituiertenmorden – in Wien, Graz, Vorarlberg, Tschechien, Los Angeles. Überall dort, wo sich auch Unterweger aufgehalten hat. Nach langem Zögern der Polizei wird schließlich ein Haftbefehl erlassen, Unterweger flüchtet in die USA, wo er verhaftet wird. 1994 schließlich wird er in Graz wegen neunfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt - in derselben Nacht erhängt er sich in seiner Zelle.

Das Besondere an Malte Herwigs Buch ist neben Erzähltechnik und hohem literarischen Niveau die Akribie, mit der er Unterwegers Lügengebäude zum Einsturz bringt. An einer Stelle schleudert er seinem fiktiven Erzähler ins Gesicht: „Statt Unterwegers kriminelle Vergangenheit zu reflektieren, habt ihr Knast-Kitsch bekommen und das Lied von der harten Kindheit.“ Zentralen Raum nimmt der Roman „Fegefeuer“ ein. Herwig schildert detailliert die Entstehungsgeschichte. Anfänglich ein 1000-Seiten-Konvolut, völlig unbrauchbar. Erst Sonja von Eisenstein, eine Förderin Unterwegers, die später vergeblich vor ihm warnen sollte, brachte das Geschriebene in Form, kürzte es radikal, bis daraus jener Roman entstand, der Unterwegers Ticket in die Freiheit war. Ein besonders spannender und gleichzeitig erschütternder Aspekt: Malte Herwig glaubt nicht an die „Läuterungsliteratur“, sondern geht vielmehr davon aus, dass es Unterwegers Masterplan war, mittels Literatur – die möglicherweise gar nicht von ihm stammt – in die Freiheit zu gelangen. Und, noch schlimmer: Herwig meint, dass für Unterweger das Schreiben keine Therapie war, sondern vielmehr „Tatmittel“, wie eine Waffe. Das heißt, die Fortsetzung von Verbrechen in der Fantasie – getarnt als Bewältigungsarbeit.“

Jack Unterweger bei seiner Gerichtsverhandlung in Graz 1994
Jack Unterweger bei seiner Gerichtsverhandlung in Graz 1994 © Helge Sommer

Es gibt viele Aspekte in diesem Fall, über die man heute den Kopf schüttelt: Nach den ersten Prostituiertenmorden in Wien schickte der ORF einen Reporter für Recherchen auf den Straßenstrich. Sein Name: Jack Unterweger. Für Ö 3 lieferte Unterweger Reportagen aus Los Angeles, wo er die dortige Polizei bei ihrer Arbeit in den Rotlichtbezirken begleitete. Gleichzeitig wurden in dieser Gegend drei Prostituierte ermordet, für die Unterweger später auch angeklagt wurde.

Serienmörder

Herwig ortet im Roman „Fegefeuer“ übrigens auch ein „verstecktes Geständnis“ eines Mordes, für den Unterweger nie angeklagt wurde. Ein Salzburger Kripobeamter namens August Schenner war einer der ersten, der die Wiener Polizei darauf hinwies, dass Unterweger der gesuchte Serienmörder sein könnte, weil der Modus Operandi auf ihn hindeute. Schenner hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, Unterweger wegen eines Mordes im Jahr 1973 in Salzburg zu überführen. Damals war eine junge Frau tot in der Salzach aufgefunden worden – erdrosselt. Ihr Name: Marica Horvath. Doch Unterweger stritt das stets ab – und saß inzwischen ohnehin lebenslang im Gefängnis. Herwig weist jetzt darauf hin, dass sich in „Fegefeuer“ eine Passage findet, in dem Unterweger von der Begegnung mit einer „Marja“ erzählt. Sie stammt – wie Horvath – aus Jugoslawien.

„Austrian Psycho“ ist entlarvend, auch wenn es dem „Fall Unterweger“ im Wesentlichen nichts Neues hinzufügt. „Wir, die wir uns für ihn einsetzten, fühlten uns mutig und tolerant“, lässt Herwig seinen Erzähler zugeben. Der Fall hat gezeigt, wie leicht Menschen zu manipulieren sind, wenn sie an die Transformation des Bösen ins Gute glauben wollen. Das ist ja an sich nichts Schlechtes, außer dieser Glaube wird für einen mörderischen Zweck missbraucht.

Malte Herwig
Malte Herwig © Verlag
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Malte Herwig. Austrian Psycho. Jack Unterweger. Molden. 126 Seiten, 19 Euro.