Diese Jenny von Loeben im Drama „Vier Minuten“ war 2007 eine der auffälligsten Frauenfiguren im deutschsprachigen Autoren- und Autorinnenkino. Eine junge Frau wird des Mordes verurteilt – unschuldig – und zu einer langen Haftstrafe für etwas verdammt, das sie nicht begangenen hat. Noch mehr: Ihr Kind verliert sie wegen schlechter medizinischer Betreuung und Verschulden des Haftpersonals. Sie ist wütend, unberechenbar, zerstörerisch, zerbrechlich, verschlossen und vor allem ist sie gebrochen.

Einst galt sie als Wunderkind am Klavier und nur die Musik dringt bis in ihre Seele vor. Die Klavierlehrerin hinter Gittern mutiert infolgedessen zur einzigen Person, zu der sie in den Vorbereitungen für den Wettbewerb „Jugend musiziert“ Vertrauen fasst. Die Schauspielerin Hannah Herzsprung verkörperte diese Jenny von Loeben im Alter von 21 Jahren mit emotionaler Wucht und derart einprägsam, dass sie mit Preisen überhäuft wurde und nach ihrer ersten Kino-Hauptrolle eine große Karriere einschlug. In der unvergesslichen Schlussszene hämmerte sie aufs Klavier ein, als gäbe es kein Morgen.

Irrtum! Nun gibt es ein Wiedersehen mit Jenny und Hannah Herzsprung in ihrer Paraderolle. In „15 Jahre“ erzählt Drehbuchautor und Regisseur Chris Kraus („Die Blumen von gestern“) von ihrem Start zurück ins Leben nach ihrer abgesessenen Strafe. Zunächst findet die gebrochene Frau, die als Reinigungskraft arbeitet, Halt in einer christlichen Gemeinschaft unter Anführerinnenschaft von Frau Markowski (köstlich streng: Adele Neuhauser). Dort entdecken sie und andere Zöglinge (Stefanie Reinsperger), dass sich der tatsächliche Mörder zum erfolgreichen Star und Casting-Show-Jurymitglied Gimmiemore (Albrecht Schuch) gemausert hat. Und mit dieser Entdeckung kocht die Wut in Jenny erneut hoch. Mitsamt allen Traumata. Die Fragen, die offen blieben, sind existenziell: Was hat die Wut aus Jenny gemacht? Kann man überhaupt neu anfangen? Und wie geht das?

Albert Schuch und Hannah Herzsprung: einst Punks, nun Feinde
Albert Schuch und Hannah Herzsprung: einst Punks, nun Feinde © Dor Film

Eines vorweg: Herzsprung ist auch in der späten Fortsetzung darstellerisch und emotional eine Wucht; soeben wurde sie auch erneut mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Man nimmt ihr jede Wut, jeden Schmerz, jede Sehnsucht und jede Resignation ab. Die Musik sowie das Klavierspiel werden erneut zum Hoffnungsfunken ihres Lebens da draußen. Als sie ein alter Bekannter sie überredet, mit dem syrischen Flüchtling und Kriegsopfer Omar Annan (Hassan Akkouch) ausgerechnet an der Castingshow mit Gimmiemore teilzunehmen, lässt sich Jenny breitschlagen. Und die Idee nach Rache wächst und gedeiht.

Kraus verlässt sich leider nicht auf das furiose Spiel von Herzsprung, sondern pfropft zusätzlich noch eine kitschige Lovestory, eine tragische Krebsdiagnose, Vaterfreuden, ein Kriegsdrama sowie die Migrationsthematik in „15 Jahre“. Das hätte es nicht gebraucht und das lenkt nur von der spannenden Figur Jenny von Loeben und dem famosen Schauspiel von Herzsprung ab.