Auch wenn man es nicht gerne zugesteht, und sich die Kennerinnen und Kenner über die Qualität der einzelnen Neujahrskonzerte und ihrer Dirigenten am liebsten den Mund fusselig reden: Zwischen hunderten subjektiven Wahrheiten gibt es nur wenige Gewissheiten. Eine davon: Die Philharmoniker verwandeln diese Tanzmusik aus dem 19. Jahrhundert Jahr für Jahr in hoch ästhetische Konzertmusik voller Finesse, Schönheit und Schwung. Jetzt, bei Christian Thielemann bei seinem zweiten Neujahrskonzert, verloren die Walzer und Polkas mitunter gänzlich Bodenkontakt und verflüchtigen sich im philharmonischen Himmel sublimer Anmut. Der deutsche Dirigent arbeitet genau und detailverliebt: Da werden Tempi, Dynamik und Farben immer wieder neu abgemischt, da wird an der Verfeinerung und an der Poesie des Klangs gearbeitet, um dann mit fast schmissigen Orchestertutti die Zuhörer wieder in die Realität zurückzubeordern. Beim „Delirienwalzer“ und bei Ziehrers „Wiener Bürger“ etwa wird mächtig aufgetrumpft, obwohl sogar die eindrückliche, ja fast grelle Dramatik des ersteren immer domestiziert bleibt.