Ein Jodler in die Welt hinaus! Unter dieses gut gelaunte Motto stellt Europas Kulturhauptstadt Salzkammergut 2024 sein Eröffnungsevent am 20. Jänner. Der Jodler steht für alpinen Wohlklang, vorab waren in der Region aber recht viele Misstöne zu vernehmen. In etlichen der 23 beteiligten Gemeinden – darunter ausgerechnet in der „Bannerstadt“ Ischl – gab es Streit. Vergiftete Kommunalpolitik, deren Hickhack bis in persönliche Diffamierungen ging, dominierte das Jahr 2023, bis sich sogar der Ischler Pfarrer genötigt sah, öffentlich zu mehr Versöhnlichkeit aufzurufen.
Nach Graz 2003 und Linz 2009 sind Bad Ischl und das Salzkammergut erst der dritte österreichische Schauplatz des europaweiten Kulturgroßevents. Und in 39 Jahren die allererste ländliche Region, die den Titel „Kulturhauptstadt“ tragen darf. Ist so ein Projekt also zum Scheitern verurteilt, wenn die Lokalpolitik sogar den bevorstehenden Auftritt auf der Europa-Bühne für provinzielle Schlammschlachten nutzt?
Machtwort des Landeshauptmanns
Drei Wochen vor Beginn des Kulturhauptstadtjahres herrscht in der Bevölkerung und unter den lokalen Veranstalterinnen und Veranstaltern jedenfalls nicht nur ungeteilte Vorfreude. In den vier steirischen Gemeinden, die sich das Jahr mit 19 oberösterreichischen Kommunen teilen, ist die Stimmung zwar durchwegs freundlicher, kritische Anmerkungen gibt es aber durchaus (siehe hier). In Oberösterreich brauchte es, wie Politinsider erzählen, erst ein Machtwort des Landeshauptmanns Thomas Stelzer (ÖVP) für kooperatives Agieren in und zwischen den Kommunen. Das hängt auch mit der besonderen politischen Konstellation im Land zusammen. In Oberösterreich regiert seit Jahrzehnten relativ unangefochten die ÖVP (aktuell gemeinsam mit der FPÖ), das Kulturhauptstadtjahr gilt im Land als SPÖ-Projekt – Initiator der Bewerbung war der ehemalige Ischler Bürgermeister Hannes Heide, dessen Manöver in seiner Stadt nicht nur gefeiert werden. Stelzer selbst, wird gemunkelt, fokussiert 2024 lieber auf das Anton-Bruckner-Jahr: Oberösterreich feiert den 200. Geburtstag des Komponisten – und beginnt damit schon morgen.
Dass in und um Ischl nicht nur Hurra-Stimmung herrscht, hängt also auch mit der speziellen Politkonstellation zusammen. Dass immerhin 23 beteiligte Gemeinden finanziell bedacht und zum Schauplatz werden wollen, macht die Sache nicht unbedingt leichter. Mit der künstlerischen Leiterin Elisabeth Schweeger (73) wurde 2021 (nach der plötzlichen Ablöse des ersten Intendanten Stefan Rabl) immerhin eine Persönlichkeit gefunden, der es an Durchsetzungskraft nicht mangelt. Die Wienerin hat Kulturinstitutionen zwischen Linz und Frankfurt gemanagt und verbrachte ihre Kindheitssommer bei den Großeltern in St. Gilgen. Sie kennt die Verfasstheit der Lokalbevölkerung und kann mit ihrer sprichwörtlichen Widerständigkeit umgehen – auch wenn manche ihr zu distanzierte Kommunikation, einen Mangel an Partizipationsangeboten vorwarfen. Andererseits managt sie mächtige Salzbarone, die ihre eigenen Programmideen für 2024 für die besseren halten, ebenso souverän wie die vielen lokalen Veranstalter, die – durchaus berechtigten – Unmut äußern, weil sie im Programm nicht berücksichtigt werden.
Aber das liegt auch an budgetären Beschränkungen: Die Kulturhauptstadt hat gerade einmal 30 Millionen Euro Budget. Zum Vergleich: Graz hatte vor immerhin 20 Jahren 60 Millionen. Eine Konsequenz daraus: Es ist kein Geld zum Verbauen da, bis auf die Sanierung des Ischler Lehartheaters um kolportierte zehn Millionen geht alles Geld in Projekte. Die befassen sich nicht nur, wie einst in der Bewerbung, mit Themen wie Salz und Overtourism, sondern auch mit Fragen von Landflucht und Leerstand, Verkehrsfragen, Erinnerungskultur. Auch eine Herausforderung für eine Region, die sich nach außen bisher über Themen wie Sommerfrische, K.-u.-k.-Nostalgie, Unesco-Welkulturerbe, alpine Idylle präsentierte: das Salzkammergut als großes begehbares Freilichtmuseum.
Aber Schweeger steht für einen Kulturbegriff, dessen Projekte nicht nur als Tourismusattraktionen dienen wollen, sondern auch Herausforderung und Störfaktor sind – ein Projekt, das sich mit dem einstigen NS-Lager in Ebensee befasst, schlug da bereits Wellen.
Konfrontation ist unvermeidlich
Kulturhauptstadt, das heißt eben immer auch Konfrontation. Ähnliche Probleme gab es bisher praktisch überall – sie resultieren aus dem offenbar unvermeidlichen Spagat, den der Jahresevent verlangt: Das Populäre und das Sperrige soll Platz haben, das Prestigeträchtige und die Publikumsmagneten. Und dem Starprinzip soll ebenso gehuldigt werden wie den lokalen Kulturträgerinnen, der sich jede Hauptstadttauglichkeit überhaupt erst verdankt.
Die will man ab 20. Jänner – als erste der drei Kulturhauptstädte 2024 neben dem estnischen Tartu und dem norwegischen Bodo – mit einem großen Zweitagesfest in Ischl unter Beweis stellen. Zu dem gehören ein Konzert mit Hubert von Goisern und dem „Chor der 1000“, Auftritten von Tom Neuwirth alias Conchita Wurst, Doris Uhlich, Camo & Krooked. Barrie Koskys Inszenierung von Oscar Straus‘ Operette „Eine Frau, die weiß, was sie will“ wird im Lehartheater gezeigt, im Alten Sudhaus eröffnet die Ausstellung „kunst mit salz und wasser“. Ein Frühschoppen mit dem Trachtenverein D’Ischler gehört ebenso zum Programm wie ein „Wirtshauslabor“ und ein Europa-Symposion mit Aleida Assmann, Nava Ebrahimi und Fiston Mwanza Mujila. Ein „Zukunftsraum, eine Möglichkeitsraum“ soll Ischl und das Salzkammergut 2024 werden, so will es Schweeger. Möge die Übung gelingen.