Heute ringt Joan Baez vielleicht um manch hohe Töne, um Worte ist die US-Sängerin, Bürgerrechtsikone und lebende Legende noch nie verlegen gewesen. Das hat sich auch seit ihrem Tour-Finale 2018 nicht verändert. Ihre glockenhelle Stimme war einst legendär. Ihre klaren Ansagen wider Krieg, Gewalt, Hass und Rassismus sowieso. Im einfühlsamen, aber emotional hochtourigen Dokumentarfilm „Joan Baez – I’m a Noise“ blickt die heute 82-Jährige ehrlich zurück. Angelehnt an ein Zitat des kolumbianischen Autors Gabriel García Márquez reflektiert sie dabei über ihr öffentliches, ihr privates und ihr geheimes Leben. Letzteres spricht die „Queen of Folk“ erstmals offen an und berichtet von ihren Traumata sowie vom möglichen Missbrauch in ihrer Familie. 

„Meine Stimme ist ehrlicher geworden. Sie hat 60 Jahre Lebenserfahrung mehr“, sagt Baez in diesem bei der Berlinale uraufgeführten Dokumentarfilm, während die Kamera sie bei Gymnastik und Stimmtraining zu ihrer Abschiedstournee begleitet. Drei Regisseurinnen vertraute sich der Musikstar an: Karen O’Connor – eine Freundin von Baez – Miri Navasky und Maeve O’Boyle. Als ausführende Produzentin war übrigens keine Geringere als Sängerin Patti Smith an Bord. Ein kleines popkulturelles Gigantinnentreffen also. Eines, in dem Humor und innere Haltung jede Verbitterung verdrängt hat.

Das Leben im Rampenlicht war u.a. gekennzeichnet vom legendären Woodstock-Auftritt und ihrem selbst komponierten Song „Sweet Sir Galahad“, von Barfuß-Auftritten und Protestmärschen an der Seite von Martin Luther King, von gemeinsamen Konzerten mit ihrem Ex-Partner Bob Dylan, dem sie mit gemeinsamen Auftritten zu einer Karriere verhalf. Bis die Bühne, wie Baez einmal sagt, zu klein für sie beide wurde. Dylan habe ihr das Herz gebrochen. Der Schmerz über die spätere Entfremdung ist spürbar.

Versöhnung zum Schlussakkord

Grundlage für viele Erinnerungen aus diesem bewegten Künstlerinnenleben war ein Depot, das Baez davor noch nie betreten hatte. Dort sammelten ihre Eltern Fotos, Zeichnungen, Videos und Tonaufnahmen der jungen Sängerin sowie ihrer Schwestern Mimi und Pauline. Die vielen Dokumente sind eine Fundgrube für die ergebnisoffene Annäherung an einen Menschen; verortet in der Kulturgeschichte der USA. Joan Baez, dieser Eindruck lässt einen nicht los, stürzte sich mit Anlauf in dieses Unterfangen.
Und wenn die grundsympathische Künstlerin zum Abschied im Konzert „Fare Thee Well“ singt, dann klingt das so, als hätte sie sich mit allem ausgesöhnt. Chapeau!