In Japan nennt man sie Hikikomori, in China Tang Ping: Menschen, die sich in Reaktion auf Leistungsdruck und rasenden Alltag komplett aus Berufs- und Sozialleben zurückziehen. Im Quartier des Grazer Theaters im Bahnhof unternimmt die Schauspielerin Juliette Eröd derzeit einen ähnlich gelagerten Rückzug – als Künstlerin allerdings öffentlich, vor Publikum. Aber sie performt dabei nicht, sie ist. Sechs Tage lang verbringt sie seit Dienstag in einem „Kokon“, einem per Hagelnetz halb verhüllten Verschlag, losgelöst der Außenwelt, umgeben von 300.000 losen Knöpfen. Nicht von ungefähr entspricht diese Zahl der Grazer Bevölkerung.
Allein unter vielen: Täglich von 9 bis 20 Uhr ist Eröds „Kokon“ zugänglich - man kann ihr bei der Beschäftigung mit den Knöpfen zusehen, oder einfach beim Stehen, Liegen, Sitzen – ein Tisch, ein Stuhl und eine Schlafnische mit Bettzeug und Lampe sind nebst den Knöpfen die einzige Ausstattung ihres Raums.

Inwieweit ist demonstratives Nichtstun soziale Provokation? Ist es ein Akt der Freiheit, sich der Welt zu entziehen? Erzeugt dieses Beispiel zwecklosen Seins eher Grauen oder Neid? Wer der Frau im grünen Nickiplüsch-Pyjama eine Zeitlang zusieht, hat Muße, über solche Fragen nachzudenken. Bloße Verinnerlichung wird aber nicht geboten: Allabendlich ab 20 Uhr lädt Eröds TiB-Kollegin Pia Hierzegger zu „Kokon-Gesprächen“ im Kontext des Rückzugs. Heute mit der Kunsttherapeutin Anja Stejskal über Entsagung und Psyche, morgen mit der ukrainischen Kuratorin Nastia Khlestova über Krieg und Exil, am Samstag mit der Zahnärztin Ilse Feigl über Schlaflosigkeit, am Sonntag mit Sportmanager Herwig Straka über die Zwänge ständiger Erreichbarkeit.
Kokon. Bis 17. 12. Quartier Theater im Bahnhof, Elisabethinergasse 72a, Graz.
www.theater-im-bahnhof.com