Der Schalk sitz ihnen allen im Nacken: den Göttern, die dem Treiben und Torkeln des Menschenvolks dort unten mit einer Mischung aus schadenfrohem Amüsement und aufrichtigem Mitleid beiwohnen; und natürlich dem Autor selbst, John Banville, diesem literarischem Hochkaräter, die wie stets mit funkelnder Intelligenz und rasantem Witz durch das Geschehen führt. Jetzt, in seinem neuen Roman, lädt der irische Schriftsteller gleichsam zu einer Familienaufstellung ein und zieht Figuren aus früheren Romanen aus der trickreichen Tasche.

Zur Handlung, die aber bald die Hauptstraße verlässt und sich auf zahlreichen Nebenrouten lustvoll durch die Landschaft schlängelt: Felix Mordaunt, der gerade erst nach sehr langem Aufenthalt dort aus dem Gefängnis entlassen wurde, fährt am Haus seiner Kindheit vor. Selbiges wird jetzt bewohnt von Nachkommen des weltberühmten Wissenschaftlers Adam Godley, dessen Existenztheorie viel Chaos verursacht hat. Aber war Godley überhaupt der Urheber? Oder war auch er, wie so viele in dieser Aufstellung, ein Betrüger?

Mordaunt jedenfalls, der eigenartige und -willige Heimkehrer, hadert mit der Welt, die ihm jetzt wieder offen steht: „Das Gefängnis hatte die Fülle der Dinge gleichsam ausgesiebt, nun aber sollte er von Neuem mitten hinein in den Schlamassel. Es gab einfach zu viel von allem, Autos, Häuser, Läden, Ampeln, Platanen, Krankenhäuser, Leichenhallen, Spielmannszüge, Monstermessen, Erdbeben, Hungersnöte, Feuersbrunst und Flut, Natur- und Unnaturkatastrophen, leichenübersäte Schlachtfelder, Massenvernichtungen.“ Vor allem aber, so der Ex-Häftling, gab es „Menschen, immer Menschen“. Zu viele davon. Ihm zagte das Herz.

Das Herz des Lesenden indessen schlägt höher, denn die Lektüre von Banville-Büchern ist stets ein „enigmatischer Hochgenuss“, wie „The Washington Post“ über den neuen Roman konstatiert. Und fürwahr: „Singularitäten“ ist ein singuläres Ereignis voll Tiefgang und buchstäblich göttlichem Humor. Wie stets bei diesem vielfach ausgezeichneten Autor geht es auch diesmal um die Unzuverlässigkeit und Mangelhaftigkeit der Wirklichkeit, die mithilfe der Literatur austariert werden muss. Freilich ist dies ein doppelbödiges Spiel, das Banville mit höchster Kunstfertigkeit und Sprachmacht betreibt. Es geht um „Fake People“, „Fake News“, Täuschungen und Fälschungen, das Kollabieren von Gewissheiten, die in Wahrheit nie welche waren. Und Banville-Kenner wissen gewiss längst, dass auch der Name Felix Mordaunt falsch ist und es sich beim entlassenen Mörder um Freddy Montgomery aus Banvilles Meisterwerk „Das Buch der Beweise“ handelt. Und die Familie Godley kennt man bereits aus dem Buch „Unendlichkeiten“.

Ein exzentrisches, explosives Familientreffen also, kongenial übersetzt (wie alle Banville-Werke) von Christa Schuenke. Und die Götter schauen mit Tränen in den Augen zu. Es sind Tränen des Lachens – und solche der Trauer.

John Banville. Singularitäten. Übersetzung Christa Schuenke. Kiepenheuer & Witsch, 425 Seiten, 26,80 Euro.

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