Eine Skizze aus dem Jahr 1929 trägt den Titel „Vier Töchter des Künstlers“ und lässt erahnen, warum Herbert Boeckl im Gegensatz zu Oskar Kokoschka nie zu Weltruhm gelangte. Denn während sein niederösterreichischer Malerkollege zuerst nach Dresden und Prag übersiedelte, um 1938 vor den Nazis nach London zu fliehen, arrangierte sich der neunfache Familienvater mit den politischen Verhältnissen in seiner Heimat: Er vertrat den Ständestaat bei drei Biennalen, nahm 1934 den Österreichischen Staatspreis entgegen und ließ sich zum ersten Nachkriegsrektor der Wiener Kunstakademie ernennen – ohne zuvor seine NSDAP-Mitgliedschaft anzugeben. Bedeutende Expressionisten waren sie dennoch beide – der um das Wohl seiner Familie besorgte Autodidakt aus Kärnten, und der um acht Jahre ältere Revoluzzer und Frauenheld, der sich bereits in k&k-Zeiten den Ruf eines „Oberwildling“ erworben hatte. „Beide haben wir nun in einen Dialog gebracht, um zu schauen, wie fruchtbar dieser ist“, sagte Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder bei der Eröffnung der Ausstellung, die den etwas zugespitzten Titel „Herbert Boeckl – Oskar Kokoschka. Eine Rivalität“ erhielt.
Dass sich die einstigen Kriegskameraden tatsächlich als Rivalen sahen, wird zwar durch Zitate nirgendwo in der Schau belegt, wurde aber aufgrund der Leidenschaftlichkeit der beiden so unterschiedlichen Charaktere keineswegs überraschen. Anhand von rund 120 Werken aus der eigenen Sammlung zeichnete Kuratorin Elisabeth Dutz jedenfalls zwei Künstlerkarrieren nach, die stilistisch mehr verband als trennte, auch wenn Boeckl der internationalen Avantgarde, also einem „Blauen Reiter“, den „Brücke“-Malern und auch Kokoschka selbst, um Jahre nachhinkte.
Am Beginn des chonologisch geordneten Parcours stehen freizügige Aktzeichnungen und Seelenporträts, deren nervöser Strich die ungestüme Rastlosigkeit des jungen Kokoschka verraten. Prominente Schlüsselwerke wie seine im Liebeswahn zu Alma Mahler entstandene „Windsbraut“ (1914) sucht man freilich vergebens. Auch bei Boeckl stehen intimere Arbeiten im Fokus, darunter flüchtige Porträts seiner Kinder, eine farbenfrohe Ansicht des Afritzer Sees oder ein schmalgesichtiges Selbstporträt des 24-jährigen Kriegsheimkehrers. Dass es auch dem gebürtigen Klagenfurter nicht an Skandalen mangelte, bezeugt seine „Donna Gravida“ von 1930, eine schonungslose Aktdarstellung seiner hochschwangeren Frau Maria, die beim Publikum heftige Wallungen hervorrief. Zwei Jahre zuvor hatte Boeckl im Maria Saaler Dom sein Wandgemälde „Die Errettung Petri im See Genezareth“ geschaffen, das der Kärntner Bischof wegen seines expressiven Stils und der angeblichen Ähnlichkeit von Petrus mit Lenin schamhaft verhängen ließ.
Zu den spannendsten Räumen in der Albertina Modern gehört zweifellos jener mit Boeckls Kreideskizzen von Leichen, die er in stundenlangen Sitzungen für sein Ölbild „Anatomie“ (1931) anfertigte. Diese stummen Zwiegespräche mit dem Tod gehören zum Beeindruckendsten und zugleich Bedrückendsten, was die österreichische Zeichenkunst hervorgebracht hat. Im starken Kontrast dazu stehen Blumenstillleben, die der greise Oskar Kokoschka um 1970 in seinem Garten am Genfersee malte. Die gefälligen Aquarelle wollen so gar nicht zu jenem Berserker und „entarteten Künstler“ passen, dem Erzherzog Franz Ferdinand einmal wenig vornehm gedroht haben soll: „Dem Burschen gehören die Knochen im Leibe zusammengeschlagen“.
Der hünenhafte Malerfürst, dies legt eine groß affichierte Fotografie von Franz Hubmann aus dem Jahr 1954 nahe, hätte sich wohl zu wehren gewusst. Im selben Jahr porträtierte der bedeutende Fotograf auch Herbert Boeckl bei der Arbeit im Atelier. In der Ausstellung stehen sich die beiden Maler in selbstbewussten Posen gegenüber. Man kann von Glück sprechen, dass sie ihre „Rivalität“ nur mit dem Pinsel ausgetragen haben.