Es war die kalkulierte Grenzüberschreitung: Wenn Thomas Gottschalk das klatschende „Wetten, dass..?“-Publikum samt Abschiedsmusik in die Nacht verabschiedete, war die behauptete Sendungsdauer in aller Regel weit überzogen. Aus der Zeit zu fallen, gehörte zum guten Ton: 73 Stunden sollen gewesen sein – mehr als drei Tage und drei Nächte gestand sich „Wetten, dass ..?“ über die Jahre an Nachspielzeit zu. Nur stimmig ist daher, wenn die TV-Show heute Abend ihren Schlussakkord erst Jahre nach ihrem eigentlich, natürlich Ende begeht. „Ein bisserl mehr darf es noch sein“ als Motto einer Maßlosigkeit, die stilvoll zu unterhalten wusste.

„Wetten, dass ..?“ steht für eine goldene Generation der TV-Unterhaltung, die noch eine große gemeinsame Öffentlichkeit kannte, indem sie vor dem Fernseher versammelte, was in Bezug auf Alter oder Geisteshaltung nicht zusammenpasste. Bloß, dieses Lagerfeuer ist längst gelöscht. Weggeschwemmt von Wandel und Welt, vielleicht vor allem von der Zeit. Das muss niemand bedauern, der den Blick nach vorne richtet.

Und wer zurückblickt, sieht eine Show von Weltformat, zu der alle kamen, nur der Papst nicht. Wo Michael Jackson mit größtem Bombast seinen „Earth Song“ gen Hallendecke singt, Elton John wieder zu spät kam, Paris Hilton schwierig schwieg und trotz all dieser Kapriolen das Arrangement in erster Linie von Nahbarkeit lebte: Die Studio-Couch spiegelt das Wohnzimmer-Sofa der Zuschauerinnen und Zuschauer. Die sportlichen, intellektuellen und nicht selten kuriosen Wetten holten das Publikum in der eigenen (Un-)Fähigkeit ab. Das Spektakuläre war nie weit weg vom Geerdeten, der Glamour wurde gefeiert und zugleich entblößt: So wie Schlagersänger Patrick Lindner, der 1997 vor den Spice Girls die Hose fallen ließ. Gottschalk, damals mit unerschütterlichem Gespür für die Fernsehunterhaltung ausgestattet, löste die kuriose Situation – in dem er es Lindner gleichtat.

Die „hohe Zeit ist lang vorüber“ singt Fendrich (viermal bei „Wetten, Dass“), „das war Hollywood von gestern“ wussten Waterloo & Robinson (nie dabei). Auch in Gottschalk reifte diese Erkenntnis, er zog 2011 einen Schlussstrich, der zehn Jahre später verblichen war: Für drei Ausgaben kehrte er zurück. Heute ist davon nicht auszugehen. Niemand zweifelt, dass sich der blonde Riese in Offenburg von seinem Steckenpferd verabschiedet. Ob das Pferd noch von jemandem anderen geritten werden kann? Das würde nur gelingen, wenn man sich von der Idee verabschiedet, Fernsehen für alle machen und dabei so zu tun können, als wäre es ein ewiges 1995. Nur wer den Blick nicht nach vorne zu richten wagt, kann nicht loslassen.

Dass der 73-Jährige heute Abend die Halle leer spielt, darf ausgeschlossen werden. Zu professionell ist Gottschalk bis in jede seiner blonden Haarspitzen, ein deutscher Entertainer, der sich vor Millionenpublikum noch einmal in seinem Lebenswerk feiern lassen darf. Wie damals. Dann ist es aber gut.