Es gibt nur eine Rolle, die in den bisherigen fünf Staffeln von „The Crown“ durchgehend mit hohen Sympathiepunkten bewertet wird: die des Corgis. Fußwärmer de luxe und treuer Begleiter der Queen, so viel ist Fakt. Was hinter den hohen Zäunen vom Buckingham-Palast oder von Schloss Windsor so vor sich geht, das kann man nur erahnen. Oder Prinz Harry zuhören, der mit Kritik an „der Firma“, wie man den inneren Kreis der Königsfamilie so nennt, nicht spart. Zwischen den Zeilen zu lesen, ist nicht nötig: Ein goldener Käfig mit unendlich viel Potenzial für Intrigen aller Art, so könnte man die Kritik des Abtrünnigen zusammenfassen. Märchenhaft ist das nicht, es ist vielmehr das Gegenteil davon. Und genau das macht es zum perfekten Serienstoff: Wenn am Donnerstag die ersten vier Folgen der finalen sechsten Staffel der Serie „The Crown“ auf Netflix zu sehen sind, dann gehen die Palasttüren für jedermann auf.
Real öffnet sich damit eine Art Möglichkeitsraum: „Die Erzählungen der Serie sind Fiktionen, könnten sich aber zumindest zum Teil so ereignet haben. Die Faszination entsteht durch dieses Spiel mit der Grenze zwischen Fiktion und Realität. Das regt die Fantasie der Zuschauer an, animiert sie zum Nachdenken und zu imaginären Identifikationen“, erklärt Medienwissenschaftler Rainer Winter von der Universität Klagenfurt. Seit jeher sind Königshäuser formidable Projektionsflächen und für die Unterhaltungsindustrie ein Glücksfall. Eine ganze Magazinindustrie lebt seit Jahrzehnten von den blaublütigen Dramen fernab der Alltagswirklichkeit. 2016 hat Regisseur Peter Morgan die jüngste Geschichte der Windsors mit „The Crown“ in die Streamingwelt gehoben. Staffel für Staffel sorgte die Serie für Furore, Jahr für Jahr räumt sie bei den Golden Globes und den Emmys ab. Es ist die Geschichte von Queen Elizabeth II., die hier, eingebettet in historische Ereignisse, erzählt wird. Drei Schauspielerinnen – Claire Foy, Olivia Colman und aktuell Imelda Staunton – verkörpern die im Vorjahr verstorbene Königin.
Für die Royals selbst ist die Serie ein stark schwankendes Schiff: Während Claire Foy zwei Staffeln lang die junge, wissbegierige Königin mimt, die die Herzen im Sturm erobert, verkörperte Olivia Colman die resolute Herrscherin, der auch eine gute Portion Humor und Zynismus nicht fremd ist. Imelda Staunton spielt in der fünften und auch in der kommenden sechsten Staffel die distanzierte Königin, aber die Königin der Herzen, die war damals eine andere: Diana. Schon zu Beginn der fünften Staffel wurde Kritik an den Serienmachern laut, die Royals fürchteten sinkende Sympathiewerte, die bekanntlich immer auch Zündstoff in der ewigen Debatte rund um ihre Abschaffung sind. Also abwarten und Tee trinken? Eher nein. Nach der massiven Kritik von Promis und Politikern hat Netflix in der Staffel fünf zu Beginn jeder Folge die Serie als „fiktive Dramatisierung“ gekennzeichnet. Dass es hier zu einer Vermischung von Fiktion und Realität kommt, lässt sich aber naturgemäß nicht verhindern, erklärt Rainer Winter: „Hier wird die Geschichte einer Familie und ihr multiples Netzwerk verästelt dargestellt. Wir können uns mit den Figuren der Serie identifizieren und imaginativ Teil einer großen Familie sein.“ Und Emotionen sind bekanntlich keine allzu guten Begleiterscheinungen, wenn es um einen rationalen Blick auf die Dinge geht.
Das, was jetzt noch kommt, ist für die britischen Royals tatsächlich kein ruhmreiches Kapitel: In der sechsten Staffel wird der Tod von Prinzessin Diana thematisiert, die Royals und vor allem Queen Elizabeth II. haben die Wucht der globalen Sympathie für Diana in jeglicher Hinsicht unterschätzt. Das durchwegs sympathische Bild, das von der Queen nach ihrem Ableben geblieben ist, könnte posthum ein paar Kratzer abbekommen. Schon im Vorfeld versuchten die Verantwortlichen zu beruhigen, was die Inszenierung von Dianas Tod bei einem Autounfall angeht: „Wir sind rücksichtsvolle Menschen und wir sind sensible Menschen“, sagte Produzentin Suzanne Mackie Ende August der Nachrichtenagentur PA zufolge beim Edinburgh TV Festival.
Dass die Serie, die zuletzt im Vergleich zu den ersten Staffeln an Qualität eingebüßt hat, trotzdem für hohe Quoten sorgen wird, davon kann man ausgehen. Auch weil die aktuelle Weltlage mit ihren multiplen Krisen die Streamingplattformen mehr denn je zu geschützten Rückzugsorten macht, wie Medienexperte Rainer Winter ausführt: „Serien können uns Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, weil sie uns Welten eröffnen, die strukturiert und geordnet sind. Wir können die gegenwärtigen Krisen für kurze Zeit vergessen und auf Lösungen hoffen.“