Es wird wieder privat. Im Grazer Theater im Bahnhof heißt das oft: extra profund. „Herbstfest auf dem Lande“ ist der Titel der Produktion, die am Donnerstag Premiere hat; nicht von ungefähr klingt er recht biedermeierlich: Die Prosa von Adalbert Stifter war eine Inspirationsquelle für Monika Klengel, die hier gemeinsam mit Frans Poelstra Regie führt

Biedermeierlich dürfte das Stück aber eher nicht werden. Es geht bei der genannten Feierlichkeit um den 80er des Herrn Papa, „Herbstfest“ erzählt also eine Familiengeschichte: vier Geschwister besprechen in einer der zu Recht gefürchteten „Familiengruppen“ auf WhatsApp, wie der Jubeltag zu begehen ist. Dabei zeigt sich bald, dass in der Familie einiges aus dem Lot ist: Der Umgang miteinander ist nicht besonders herzlich. Die fürs Vermitteln und Besänftigen zuständige Mutter ist in der Pandemie gestorben, im Zuge der Vorbereitungen „kommen nicht verheilte Kränkungen von früher an die Oberfläche“, erzählt Klengel.

Monika Klengel über die Komplexität von Geschwisterbeziehungen: „Man kommt einander nicht aus, braucht einander aber auch wahnsinnig.“
Monika Klengel über die Komplexität von Geschwisterbeziehungen: „Man kommt einander nicht aus, braucht einander aber auch wahnsinnig.“ © Johannes Gellner

Eine Tragödie vinterbergscher Dimension ist aber nicht zu erwarten, „auch wenn da etwas an die Oberfläche geschwemmt wird, mit dem alle eigentlich nix mehr zu tun haben wollen.“ Die Vaterfiguren ihrer Generation hätten sie interessiert, erläutert Klengel: Die letzten Patriarchen, die als uneingeschränkte Familienoberhäupter regiert, die Republik wieder aufgebaut und Wohlstand für sich und die Ihren geschaffen haben. „In ihrem Selbstverständnis waren sie die großen Macher.“ Dominant, aber abwesend. Das wird auch im Stück so sein. Der Vater selbst tritt gar nicht auf.

Weil Klengel, typisch für eine mittlerweile in ihren Fünfzigern angekommene Generation, selbst in der klassischen „Vater-Mutter-Kind“-Konstellation, die natürlich auch eine Hierarchie war, aufgewachsen ist, interessierte sie, wie solche Prägungen weiter wirken: „Der Glaube an die starke Hand, die Verunsicherung, wenn sie nicht mehr da ist. Sich davon zu lösen ist nicht leicht, auch wenn wir uns alle sehr emanzipiert haben. Man trägt das in die nächste Generation noch voll hinein“, glaubt die Regisseurin. Was dann auch zum Kernthema der Produktion führt: Geschwisterverhältnisse. „Die Beziehungen zwischen Geschwistern gehören zu den tiefsten, die es gibt. Da herrscht oft große Verbundenheit bei großer Distanz, egal ob emotional oder geografisch“, glaubt Klengel. „Man kommt einander nicht aus, braucht einander aber auch wahnsinnig.“

Doppeltes Hörspiel

Das Handy liefert den Beweis: In WhatsApp-Gruppen sind diese komplexen Verhältnisse oft erstaunlich akkurat abgebildet. In „Herbstfest auf dem Lande“ wird das zum Stilmittel. Man könne an Chatverläufen viel über Familienverhältnisse ablesen, glaubt Klengel, „und das ist oft sehr, sehr komisch.“ Um der Bürgerlichkeit von Anlass und Thema gerecht zu werden, haben sie und Poelstra als dramatische Form ein typisches Bildungsformat gewählt: das Hörspiel. In dessen erstem Teil wird die Handlung live aufgenommen. In Teil zwei „hören wir uns das mit dem Publikum gemeinsam noch einmal an, und man erlebt, wie die Schauspielerinnen und Schauspieler sich zu dem verhalten, was sie gerade aufgenommen haben.“ Logisch: Familienleben ist immer auch Wiederholung. Und aus dem zweiten Blick ergibt sich manchmal größere Klarsicht.