Europa steht am Abgrund: Das nationalsozialistische Deutschland hat sich Österreich bereits einverleibt und hat noch immer großen Appetit. Die Sudetenkrise bringt den Kontinent an den Rand eines neuen Großen Krieges. Im September 1938 treffen die Westmächte und Deutschland in München zusammen, um die Krise zu lösen. In Wahrheit unterzeichnen Briten und Franzosen ein von Hitler diktiertes Abkommen, das Hitler nicht aufhält, sondern seinen Annexionsgelüsten noch neues Feuer gibt. Mittendrin: Benito Mussolini als Vermittler. Auch er in Wahrheit eine Marionette Hitlers.
Als er nach der Unterzeichnung des Abkommens nach Italien zurückkehrt, wird der faschistische Duce als Friedensbringer gefeiert. Mussolini ist dennoch am Boden zerstört: Er regiert noch immer ein Volk von in den Frieden verliebten „Nulpen“ und keine kriegerische „Herrenrasse.“ Dabei erhöht er just in dieser Phase den Druck auf die jüdische Bevölkerung Italiens. Er lässt ein „Rassengesetz“ beschließen, das noch rigider als jenes in Deutschland ist. Der Antisemitismus wird damit auch in Italien verstaatlicht, zahlreiche Repressionen und Verbote treten in Kraft.
Der dritte Teil des akribisch recherchierten Mussolini-Projekts von Antonio Scurati, in dem er die Geschichte des italienischen Faschismus in Romanform bringt, reicht von der Annäherung zwischen Italien und Deutschland 1938 bis in die ersten Weltkriegsmonate. Detailliert erzählt er, gestützt auf die Auswertung zahlloser historischer Quellen, das hilflose Taumeln des Kontinents in den Krieg und lässt wieder unterschiedliche einzelne Stimmen zu Wort kommen: Mussolini und die faschistischen Granden, jüdische Italiener und deutsche Nazis. Ein Kaleidoskop, das den Wahrheiten jener Zeit vermutlich sehr nahekommt. Mit dem dritten Teil ist „M“ auf gut 1800 Seiten angewachsen, Schluss ist noch lange nicht. Die Zeit bis zu Mussolinis Hinrichtung will er noch in ein bis zwei umfangreichen Teilen erzählen.
Antonio Scurati. „M. Die letzten Tage von Europa.“ Klett Cotta, 432 Seiten, 29,50 Euro.