Das Festival Diagonale war im März eines der ersten Opfer dieser Pandemie. Wie blicken Sie nun darauf zurück?
PETER SCHERNHUBER: Die Absage kam tatsächlich vor dem Lockdown. So schmerzhaft die Entscheidung auch war, es war rückblickend die richtige. Der Kulturbetrieb wurde durch Corona zur Kenntlichkeit entstellt – aber nicht wegen Corona. Es haben sich Dinge zugespitzt, die schon vorher im Argen lagen. Wir wehren uns immer, einer Krise etwas Positives abzugewinnen, weil es dann immer ins Ideologische kippt. Aber: Es wurde wieder breitenwirksam über Kulturpolitik diskutiert. Und bemerkt, dass der Begriff der Kulturnation eigentlich eine Farce ist. Ein Label, das überhaupt nicht auf einem strukturellen Fundament steht.

Es gab sehr schnell Online-Screenings oder eine Mini-Diagonale zum Streamen.
HÖGLINGER: Der erste Schritt war zu schauen, was wir online anbieten können? Wir sind keine Freunde einer Idee eines Online-Festivals. Für uns ist ein Festival ein soziales Geflecht, oftmals eine erste Plattform für junge Filmschaffende. Es geht darum, zusammen zu kommen, zu diskutieren, zu streiten. Nach der Absage haben wir Inhalte online gebündelt, die ohnehin da waren, diese ein wenig ausgebaut. Dann haben wir „Die Unvollendete“ konzipiert und die wird sich als Tour durchs ganze Land und übers Jahr ziehen. Das hat uns sehr gefreut.
SCHERNHUBER: Und was man nicht vergessen darf: es sind Preise vergeben worden, es gab also Geld für die Branche.

Apropos Geld. Gibt es schon eine Abrechnung zu 2020?
SCHERNHUBER: Das Budget und die Abrechnung sind noch offen. Was man sagen kann, ist, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen werden. Sehr viele private und die öffentlichen Geldgeber haben uns die Stange gehalten. Die wirkliche Herausforderung wird nächstes Jahr sein, wenn wir sehen, welche Zusatzkosten und Einnahme-Ausfälle es geben wird.

Welche Missstände in der Filmbranche hat die Krise aufgezeigt?
SCHERNHUBER: Zuvorderst die vielen prekären Arbeitsplätze. Man hat bei den diversen Hilfsfonds gesehen, dass viele Menschen unberücksichtigt blieben, die für das das Funktionieren der Produktionslandschaft ganz wichtig sind. Und da reden wir noch nicht von der ganzen freien Szene! Die Frage nach der Verwertung und wie zukunftsfit der österreichische Film stellt, hat sich jetzt noch einmal ganz neu gestellt. Für viele Filme war es gar nicht möglich, dass sie online zugänglich gemacht werden, denn es gibt Kinosperrfristen – wobei man diskutieren kann, ob die in dieser Form noch zeitgemäß sind. Fazit: Das System ist in vielen Bereichen nicht sehr zukunftsfit, in anderen wiederum sehr. Wie wird diese Pandemie den heimischen Film verändern?
HÖGLINGER: Für einige kleinere Firmen ist diese Krise sicher existenzbedrohend und wird es eventuell auch nicht weiter gehen können. Für die Produktionssituation im Großen ist es ein Schwebezustand, wo wir jetzt noch gar nicht sehen, welche Filme entstehen, welche gar nicht fertig gemacht werden. Das werden wir erst im nächsten oder übernächsten Jahr zu spüren bekommen.
SCHERNHUBER: Im Kinobereich im Speziellen hat sich aber gezeigt, dass wir alle viel abhängiger voneinander sind, als wir glauben. Für die kommerziellen Kinos ist die Situation viel drastischer, da diese tatsächlich von den Einnahmen abhängig sind. Sind die kommerziellen Kinos nicht präsent, wirkt sich das aber auch auf die Programmkinos aus, weil Kino generell aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwindet.

Erfreulich ist, dass Sie beide als Intendanten bis 2022 verlängern.
SCHERNHUBER: Hätten wir nicht verlängert, wäre die Ausschreibung mitten in die Lockdown-Phase gefallen. Das wäre für die Nachfolgerin oder den Nachfolger in so einer Phase nicht zumutbar gewesen, sich zu bewerben und Konzepte zu entwickeln. Andererseits wäre es für das Festival nicht zumutbar gewesen, es in einer so unsicheren Situation – auch finanziell betrachtet – zu übergeben.

Es gibt wieder erste Festivals, die analog stattfinden. Am 22. Oktober startet die Viennale in Wien – erstmals in Kooperation mit der Diagonale. Was erwartet das Publikum?
SCHERNHUBER: Die Viennale beschäftigt sich heuer verstärkt mit dem österreichischen Film. Und die Diagonale steuert die „Kollektion Diagonale 20, die Unvollendete“ bei. Uns war es total wichtig, Filme, die noch keine Premiere und keinen Kinostart hatten, bei der Viennale zur Aufführung zu bringen (siehe Info). Die Kooperation ist ein Novum. Es ist ein erster Berührungspunkt, das ist erfreulich. Eine künstliche Grenze bricht ein, denn es gibt ja keine Konkurrenz.
HÖGLINGER: Wir befinden uns mitten in dieser Krise. Die Unsicherheit treibt nicht nur uns um, sondern auch das Publikum. Wenn die Viennale gut geht, ist das ein Erfolg für alle heimischen Festivals. Es ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um noch einmal die Errungenschaften eines analog stattfinden Festivals zu betonen und vom Ort Kino an sich, das sich jetzt notgedrungen wieder einmal an einer Zäsur befindet.
SCHERNHUBER: Es ist auch gut, politische Fragen wieder unmittelbarer auszutragen. Die Viennale zeigt den Diagonale-Spielfilm-Preisträger „The Trouble with Being Born“ von Sandra Wollner. Das ist ein extrem kontroverser Film, der zuletzt beim Filmfestival Melbourne, online ausgetragen, wieder ausgeladen worden ist. Genau das ist ein Film, über den eigentlich bei einem Festival nachher gestritten wird.
HÖGLINGER: Viele Online-Festivals feiern Erfolge mit vermeintlichen Online-Besuchern. Aber was bedeuten diese Zahlen? Das sind Klicks. Man kann im Kino auch rausgehen – das ist ein Statement. In Melbourne gab es einen großen Aufschrei. Die sehen einen Ausschnitt, es wird aus dem Kontext gerissen und in unserer digitalen Schnelllebigkeit wird das ein Strudel. Und es gibt Kritik über einen Film, der von einer Auswahljury eingeladen worden ist. Am Film hat sich nichts geändert. Eine Dreistigkeit.


Wie wird die Diagonale 2021?
HÖGLINGER: Wir planen ein physisches Festival, das in den Kinosälen stattfindet. Wir arbeiten daran, Wegführungen in und aus dem Saal anders zu gestalten oder die Slots auseinanderzubringen, um die Foyer-Situation zu entspannen. Und: Wir versuchen, Säle parallel zu bespielen.
SCHERNHUBER: Wir rechnen einerseits mit coronabedingten Mehrkosten bis zu zehn Prozent des Festivalbudgets. Und andererseits stellt sich die Frage, ob wir auf das reguläre Festivalbudget dieses Jahres kommen werden. Die Diagonale wird es in veränderter Version geben: aber mit Abendunterhaltung und Möglichkeiten zum Austausch. Wir überlegen, ob es mehr Festival-Cafés geben könnte, wo man sich gesetzt austauschen und sprechen kann. Und wir werden natürlich – unabhängig von Corona – die eine oder andere Erfahrung aus dieser Zeit mitnehmen.

Wird es eine Eröffnung geben?
SCHERNHUBER: Wir haben mit der Helmut-List-Halle gesprochen. Wir wollen dort eröffnen, weil es ein riesengroßes Kino ist. Die derzeitige Idee ist es, die Eröffnung zu doppeln.