Wie ist es Ihnen denn persönlich bisher mit Corona ergangen?
CLEMENS ANTON KLUG: Die Zeit vor und um Ostern gehört normalerweise zu den beruflich intensivsten des ganzen Jahres: Passionskonzerte, die Vorbereitung der Sommerfestivals und der Verträge für die nächste Saison. Ich habe diese Periode des völligen Ruhegebens in all ihrer Irrealität anfänglich sehr genossen. Erst nach und nach wurde uns ja die gesamte Tragweite der Situation bewusst, nämlich dass im internationalen Musikleben kein Stein auf dem anderen bleiben würde.
Sie sind der einzige Agent der Klassikbranche in der Steiermark: Wäre in diesem Genre Wien nicht der logischere Arbeitsplatz?
Ich erinnere mich an meine Anfänge vor genau zehn Jahren, als ich in Wien durchaus als Provinzler belächelt wurde. Das hat sich mittlerweile geändert. Relevant ist eher, wo die Künstlerinnen und Künstler sitzen, und nicht, wo ich bin. Nunmehr sind, auch krisenbedingt, viele der Agenturbüros in Wiener Zentrumslage dauerhaft verwaist.
Anfang Mai haben Sie sich mit der düsteren Prognose gemeldet, dass Geschäfte in Ihrer Branche wohl erst 2021 wieder ernsthaft anfangen werden. Sehen Sie das jetzt optimistischer?
Eigentlich sehe ich es jetzt noch pessimistischer als vor ein paar Monaten. Die Künstlervermittlung ist ein gänzlich internationales Geschäft. Selbst wenn es in unseren Breiten wieder möglich sein sollte, Konzerte und Opernaufführungen halbwegs rentabel zu veranstalten, wird es außerhalb Europas noch das ganze nächste Jahr dauern, bis der Betrieb wieder anläuft. Es wurden ja in den USA ganze Abteilungen von Opernhäusern entlassen. Manche Veranstalter, auch prominente, wird es danach nicht mehr geben. Ich selbst habe gerade in englischsprachigen Ländern viel verloren, darunter die Saisoneröffnung in Covent Garden.
Wie schätzen Sie die unmittelbare Zukunft für Sängerinnen und Sänger ein?
Sehr bald wird die Freude, wieder auftreten zu dürfen, einem großen Frust weichen, weil Sängerinnen und Sänger zur Zeit rechtlich und finanziell Freiwild sind. Fast alle Absagen, Verschiebungen und Gagenreduktionen geschehen unter dem Deckmantel der „höheren Gewalt“, sind daher quasi rechtsfreier Raum. Leider haben auch einige prominente Intendanten, die in den Medien auf Solidarität mit Künstlern gepocht haben, diese gänzlich vermissen lassen und sich nicht im Geringsten um menschenfreundliche Lösungen bemüht. Die styriarte hat finanziell übrigens sehr kulant gehandelt.
Wie sieht die Situation in den Agenturen aus?
Da wir unsere Provision erst dann bekommen, wenn die Sänger bezahlt worden sind, heißt das, dass wir seit März 100 Prozent Umsatzeinbußen hinnehmen mussten und bis auf Weiteres auch keine Einnahmen erwarten können. Das Mitleid in der Öffentlichkeit hält sich allerdings in Grenzen, weil ganz wenige Konsumenten überhaupt wissen, wie Künstleragenturen arbeiten. Wenn Agenten in der Öffentlichkeit erscheinen, dann eigentlich nur, um irgendeine Absage eines Künstlers in den Medien zu kommentieren. Wir genießen ja nicht unbedingt den besten Ruf.
Wie sehr ist man als Agent abhängig von dem, was Partner wie Opernhäuser, Konzertbetriebe oder Festivals tun oder nicht tun? Und wie kann man diese in ihren Entscheidungen unterstützen oder beeinflussen?
Oftmals nehmen Intendanten die Agenten ihres Vertrauens ihr ganzes Berufsleben hindurch mit. Ich selbst arbeite mit Opernchefs, die vor 10 Jahren noch in einem kleinen Büro in der Provinz saßen. Sehr häufig wird man in Besetzungsfragen, Programmauswahl et cetera eingebunden. Im Idealfall ist das ein höchst kreativer Prozess. Ich habe für ein großes Open-Air in Deutschland samt Live-Übertragung im TV, das im Juli hätte stattfinden sollen, nicht nur die Sängerbesetzung, sondern auch das gesamte Programm inklusive Notenmaterial organisiert. Diese Absage war sehr schmerzhaft.
Agenturen sind ja für eben erwähnte Partner auch so etwas wie Vorfeldorganisationen, die junge Talente entdecken sollen: Steht diese Aufgabe derzeit still?
Es ist eine alte Mär, dass Dirigenten oder Intendanten junge Talente entdecken. Fast immer sind diesen „Entdeckungen“ konkrete Empfehlungen von Agenten vorangegangen. Ich bekomme zwar ein paar Anfragen am Tag und muss den jungen Künstlerinnen und Künstler abschlägig antworten, weil ein persönliches Kennenlernen im Moment nicht möglich ist. Es gibt ja auch keine Vorsingen. Einige haben die Zeit sehr produktiv genutzt und tolle Videos produziert oder neues Repertoire gelernt. Sie werden die eigentlichen Gewinner der Krise sein.
Neben Künstlervermittlung bieten Sie auch Trainings für Auditions an: Wie sehr hat dieser Bereiche unter der Krise gelitten?
Wenige Tage vor dem internationalen Reiseverbot kam noch eine Sängerin aus London, um mit mir zu arbeiten. Ich hätte heuer ans Royal College in London zurückkehren und am staatlichen Konservatorium in Peking, wie auch am hiesigen Konservatorium, einen einwöchigen Kurs halten sollen. Alles ist auf unbestimmte Zeit verschoben worden.
Kürzlich haben Sie Thomas Hampson zu den Musikwochen Millstatt vermittelt, dorthin zuvor schon andere Klassikstars wie Elīna Garanča, Rolando Villazón oder Luca Pisaroni: Fangen die Großen an, vermehrt kleinere Veranstalter zu schätzen?
Es hat mit einem Vertrauen dieser Künstler*innen in meine Person zu tun. Sie wissen, dass ich mich intensiv um sie kümmere, auch wenn ich nicht ihr Agent bin. Mittlerweile ist es so, dass ihre internationalen Manager mich de facto aus deren Künstlerliste auswählen lassen, weil sei meine Arbeitsweise kennen und schätzen gelernt haben.
Sie haben als passionierter Organist noch im Februar unter dem Titel „Organspende“ zu einem Orgelkabarett in die Grazer Herz-Jesu-Kirche geladen, bei dem es unter anderem frei nach dem Motto „Gott ist tot“ auch eine Hommage an Karel Gott gab. Frage an den Musiker und an den Impresario: Wer zuerst lacht, lacht am besten, gerade in Krisenzeiten?
Ich halte es hier mit Franz Grillparzer: Das sind die Starken, die unter Tränen lachen, eigene Sorgen verbergen und andere glücklich machen.
Michael Tschida