Sie veranstalten ein Sommer-Kabarettfestival in der Grazer Brücke. Wie geht denn das abstandsgerecht in Zeiten von Corona?
SIMON PICHLER: Wir limitieren die Plätze, setzen die BesucherInnen im Schachbrettmuster und machen sie beim Hineingehen nochmals darauf aufmerksam.

12 Acts an sechs Tagen: Wie kam dieses stattliche Line-up zustande?
Da die Stadt Graz die KünstlerInnengagen übernimmt, haben wir zunächst GrazerInnen, dann weitere SteirerInnen angerufen. Und siehe da, die meisten hatten keine Terminüberschneidungen.

Kabarett und Kleinkunst finden ja ohnehin auf kleineren Bühnen, vor weniger Zuschauern statt, häufig wird auf Einnahme gespielt. Kann einen der Beruf angesichts von Besucherlimits, Abstandsregeln etc. längerfristig überhaupt noch ernähren?
Hm - gute Frage! Andererseits: die KabarettistInnen waren ohnehin immer gezwungen, gut im Improvisieren zu sein, sich ständig etwas Neues einfallen zu lassen. Das Festival kann als Beispiel herhalten: Ohne Corona hätten wir keine Chance auf so viel finanzielle Unterstützung gehabt.

Was müsste sich grundlegend ändern, damit die Kabarettszene trotz Corona florieren kann?
Da habe ich das Urvertrauen - wenn im Volk so viel brodelt und alle heftig über Sinn und Unsinn der „Maßnahmen“ scherzen und schnattern, zeigt das, dass die menschliche Psyche weiterhin viel Satire braucht. Wie sich die Humor-Professionisten neu organisieren werden, das weiß ich noch nicht.

Allgemeine Frage an den Organisator des Grazer Kleinkunstvogels: Wie ging es denn der österreichischen Kabarettszene vor Corona?
Gut! Es gibt immer noch bewundernswert viele junge Menschen mit eigenständigen, originellen Ideen, geradezu erstaunlich, wenn man bedenkt, mit welch seichter Comedy die aufgewachsen sind. Dass eine Handvoll der ganz großen Namen inzwischen an relativ dicke Geldtöpfe herankommen - im Vergleich zum Kabarett-Revival in den 1980ern - hat die Szene ein bisschen ungemütlicher gemacht, aber kein Vergleich zum Intrigantenstadl z. B. des Austropops. Dass viele idealistische Basis-VeranstalterInnen den Sparpaketen zum Opfer gefallen sind, dass Agenturen und SparkassenmanagerInnen an ihre Stelle getreten sind, nun ja, das ist Realität. Umsatteln werde ich in meinem Alter trotzdem nicht mehr.

Und wie geht‘s der Szene derzeit?
Zu Beginn des Lockdowns haben wir gedacht, Kabarett wird jetzt als Ballast abgeworfen, ersetzt durch dieses Ku-ko-an-ne - Maskentheater (das ist nichts Japanisches, sondern steht für Kurz-Kogler-Anschober-Nehammer). Dann hat sich der gute alte Resetarits kräftig zu Wort gemeldet - eines der wirklich seltenen Beispiele, dass die Worte eines Kabarettisten unmittelbare politische Folgen hatten. Aber, oh Horror, wie sollen arbeitslose Kabarettisten sonst irgendwo in den Produktionsprozess eingegliedert werden – welcher Chef will schon gerne einen Berufsgoscherten einstellen? Also wird man uns in geschützten Räumen wieder ein Bisschen poltern und ätzen lassen, da können wir am wenigsten Schaden anrichten.

Als Zuschauer konnte man ja bisher schon den Eindruck gewinnen, dass Kabarettisten, wenn sie nicht gerade Stadthallen füllen, nebst ihren Live-Auftritten Fernsehshows und Serienauftritte bestreiten müssen, um von ihrem Beruf halbwegs komfortabel leben zu können. Befördert Corona diesen Trend?
Worauf wir uns verlassen können. Ich z. B. halte im Herbst wieder einen Kabarett-Kurs an der Volkshochschule und mache im Winter einen zweiten Band meines Schüttelreim-Almanachs fürs Österreichische Kabarett-Archiv.

Echt, man kann Kabarett an der Volkshochschule lernen?
Ja, und auch in Workshops, zum Beispiel in Greith. Das interessiert Leute vom Amateur bis zum Semi-Profi.

Gibt es, marktökonomisch gesprochen, nicht eh zu viel mittelprächtiges Kabarett, und unter verschärften Bedingungen setzen sich jetzt eben die Besseren durch?
Marktökonomisch vielleicht, künstlerisch sehe ich die Szene anders. Der Mainstream ist im Fernsehen zu bewundern, diejenigen, die kreativere Ideen haben, haben es schwer. Die Zuschauer rennen denen die Tür ein, die sie aus Funk und Fernsehen können. Eine Gegenentwicklung gibt es seit geraumer Zeit, die Poetry Slam-Szene, nur, von der können die KünstlerInnen noch weniger leben.

Weil die Grundhaltung sagt, dass man Unterhaltungskunst  weniger fördern muss?
Wiener Kabarettbühnen zum Beispiel erhalten überhaupt keine Förderung. Im Grunde eine Abwertung gegenüber „ernsthaften“ Bühnen. Das ist hinterfragenswert, hat sich aber so etabliert. Bei uns wird viel improvisiert, dementsprechend werden auch Kabarettisten nicht so ernstgenommen. Sie gelten als beliebt und volksnah, man kann sie alleine lassen.

Braucht es eine Kabarett-Lobby, die da für die Sache Stimmung macht?
Alle Versuche, das jenseits von Krisenzeiten zu organisieren, sind gescheitert.

Heißt das, es gibt in der Szene mehr Konkurrenz als Zusammenhalt?
Die gibt es sowieso. Manche starten, wie Paul Pizzera, enorm schnell durch. Viele andere kommen nur sehr schwer nach oben. Da gibt es sehr talentierte, gute Leute, die das nicht durchhalten und aufhören. Aber es gibt Marktlücken. Fredi Jirkal zum Beispiel arbeitet in Niederösterreich extrem regional, der tritt an Orten auf, von denen man noch nie gehört hat. Aber einer Plattform oder gar einer Art Kabarett-Gewerkschaft gäbe ich keine Aussichten, auch wenn die Ausgangssituation derzeit gut wäre.

Werden alle Bühnen überleben?
Danke für diese schöne Liedzeile, man kann sie z. B. zur Melodie von „Welcome to the Hotel California“ singen. Nein, werden sie nicht. Gerade am Anfang des Lockdowns haben vor allem MusikerInnen für das Überleben ihrer Stammveranstalter gebenefizt, da aber Kabarettlokale normalerweise nicht subventioniert werden, brauchen sie eine hohe Publikumsauslastung, um nicht defizitär arbeiten zu müssen.

Wie schwer ist es derzeit, Veranstalter zu finden?
Viele wollen derzeit abwarten, wie sich die Regelungen entwickeln, und vereinbaren derzeit keine Termine. Einige meinen, lasst uns jetzt Veranstaltungen machen, wer weiß, was im Winter möglich sein wird. Diejenigen KünstlerInnen, deren Termine in die Lockdown-Zeit gefallen sind, bilden schon einen ordentlichen Rückstau.

Und wie reagiert das Publikum? Man hört von Veranstaltern reihum, dass es besser laufen könnte.
Wir haben einige Male vor handverlesenem Publikum gespielt - aber die Leute haben sich bei VeranstalterInnen und KünstlerInnen sehr bedankt, dass wieder die Gelegenheit besteht, Kabarett zu besuchen.

Sie betreiben seit einiger Zeit gemeinsam mit der Poetry Slammerin Christine Teichmann und dem Kabarettisten Seppi Neubauer den Verein zur Förderung von Literatur und performativer Gesellschaftskritik. Was kann denn eine solche Veranstaltungsplattform in Zeiten von Corona ausrichten?
Hingehen und schauen! Von 12. - 14. und 19. - 21. August in der Brücke.Top-Kaliber dichtgedrängt - sorry, das darf man derzeit ja nicht sagen. Christine hat auch schon wieder Mixed-Shows in Graz und Klagenfurt organisiert, die waren sogar sehr gut besucht.

Ist Corona fürs Kabarett wenigstens ein gutes Thema?
Und ob!
Im Fernseh’n die Chris Lohner ruft.
„Tragt Masken geg’n Corona-Luft!
Doch nur zum Mund - und - Nase - schützen,
sie werd’n nicht gegen Sch … nützen."
Sie lächelt zwar wie Mona Lisa,
doch geht’s auch schon der Lohner mieser.