Die Leere öffnet scheinbar den Raum für die Auseinandersetzung mit Schuld und Läuterung. Ganze 55 Mal ist im Juni im Foyer des Grazer Schauspielhaus eine virtuelle Aufführung des „Judas“ zu sehen. Die mit Virtual Reality-Brillen ausgestatteten Zuschauer sind in diesen Tagen nicht die einzigen, die nach Wochen des Stillstands wieder Leben in das größte Theater des Bundeslandes bringen: Seit Dienstag wird geprobt und das Haus erwacht in sanften Schritten aus seinem wochenlangen Corona-Traum – und nein, es war kein guter Traum.
Am Schlimmsten seien die Tage nach dem 13. März gewesen, erinnert sich Intendantin IrisLaufenberg: „Die waren mitten in der Probe zu ,Macbeth, die Schauspieler noch mit Schwertern ausgerüstet und mit künstlichem Blut besudelt.“ Wenig später schickte Laufenberg die Mitarbeiter nach Hause und der Vorhang ging für lange Zeit herunter.
Gut in Erinnerung sind diese Stunden auch AnitaVulesica. Die Berlinerin, die im April zum ersten Mal in Graz inszenieren sollte, hatte noch am Vormittag für Thomas Köcks Stück „Dritte Republik (eine Vermessung)“ geprobt, schließlich ihre Koffer gepackt und war noch am selben Nachmittag fluchtartig nach Deutschland aufgebrochen. Auf Wochen der Ungewissheit folgte die frohe Nachrichten: Köcks Stück über eine Landvermesserin und die Bedingungen von Grenzziehungen eröffnet am 11. September die kommende Saison. Vulesica ist aktuell zurück in Graz und hat die Arbeit mit dem Ensemble wieder aufgenommen.
Noch wird in den Proben mit Sicherheitsabstand am Tisch sitzend mit dem Text gearbeitet. Ein Theater der Sprache und noch kein Theater der Körper. „Wir sind in einem Zustand, wo es heißt, achtet aufeinander“, gibt Regisseurin Vulesica vor. Wenn es im September auf die Bühne und ans Spielen geht, möchte sie den Darstellern am liebsten keine Verhaltensregeln aufzwingen: „Ich bin selber Schauspielerin und weiß, wie es auf der Bühne ist.“ Die Kunst, sie darf sich nicht beschränken, um sich entfalten zu können
Der virusbedingten Probenpause kann Vulesica auch Positives abgewinnen: Das Liegenlassen, das Abstandgewinnen und Luft daran zu lassen helfe beim kreativen Nachdenken. Ein bitterer Verzicht sei hingegen, dass ein Kinderchor und ein Chor der Kunstuni coronabedingt aus dem Inszenierungskonzept fallen, weil gemeinsame Proben nicht möglich sind.
Hochfahren mit Handbremse und Abschlussfest
Trotz Kurzarbeit und unklarer Zukunft ortet Intendantin Laufenberg eine positive Stimmung im Haus: „Man spürt jetzt von allen eine überbordende Freude.“ Die große Bühne bleibt vorerst wegen Umbauarbeiten zu, bespielt wird im Juni nur das Haus 2. Wo sonst 100 Zuschauer Platz finden, werden es bei den Solos von Gerhard Balluch, Maximiliane Haß und Henriette Blumenau kaum mehr als 30 sein. Nicht mehr als ein Hochfahren mit angezogener Handbremse ist es also, dafür mit einem Ausrufezeichen: Wir sind wieder und noch da.
Gehört werden soll diese Botschaft auch am 26. und am 27. Juni, wenn sich das Schauspielhaus am Freiheitsplatz mit einem Abschlussfest – natürlich im Rahmen der Corona-Regularien – mit einem Potpourri und bis zu 400 Zuschauern in den Sommer, in die nächste Pause verabschiedet. Davor wird der erste von drei Spielplänen – man ist vorsichtig geworden – für die kommende Saison vorgestellt. Wird sich Corona in diesem Spielplan wiederfinden? „Gar nicht, denn es ist ja in den Köpfen der Menschen“, erklärt Laufenberg.
Vor der nächsten Pause ist jedenfalls endlich wieder Leben im Haus eingekehrt. Die Darsteller sammeln sich am Probenende im Eingangsbereich der Kantine und die Intendantin muss nach dem Interview weiter zur nächsten Betriebsversammlung. Was, wenn der Corona-Spuk im Herbst erneut auffrischt? „Ich weiß es einfach nicht, wie es morgen oder übermorgen wird“, sagt Laufenberg realistisch. Und: „Das muss man aushalten können und trotzdem kreativ bleiben.“