"Katastrophal.“ Manfred Koch, der Leiter der Grazer Kleinkunstbühne Hin & Wider beschreibt die finanzielle Situation, in der sich der Verein durch die Coronakrise befindet, recht drastisch. Seit Jahrzehnten ist das Theatercafé die Kabarettinstitution des Landes. Heuer musste man bereits 87 Veranstaltungen absagen. Koch: „Wir haben eine Jahresförderung der Stadt Graz, damit ist zumindest die Basis ein wenig abgedeckt, aber wir erwirtschaften uns sehr viel selbst. Das ist jetzt natürlich blöd, alle Mitarbeiter sind in Kurzarbeit.“
Dorothee Steinbauer vom CCW Stainach sieht das ähnlich: „ Ob das jetzt größere oder kleinere Events sind – es hängen ganz viele Menschen dran.“ Für sie ist der Stillstand zwar sehr „traurig“, aber nicht existenzbedrohend. Noch nicht. Viele Kulturinitiativen haben die aktuelle Situation – bislang – zumindest finanziell einigermaßen verkraftet. Verantwortlich dafür sind neben der Möglichkeit zur Kurzarbeit die Förderfortzahlungen, zu denen sich das Land Steiermark und auch die Stadt Graz schnell nach dem Shutdown des Kulturbetriebs entschlossen haben. Karl Posch vom Kürbis Wies sagt: „Wir haben noch keine ganz großen Probleme. Wir haben immer schon sehr vorsichtig budgetiert.“ Doch eines ist auch in Wies klar: Damit der Betrieb läuft, braucht es Einnahmen.
Auch dem Griessner Stadl im Bezirk Murau, der heuer sein fünfjähriges Bestehen feiern wollte, geht es ähnlich. „Den Stadl gibt es nur aufgrund von ehrenamtlichem Engagement“, hält Initiator Ferdinand Nagele fest. Mit einer Landes-Fördersumme von gerade einmal 7000 Euro bestreitet der Kunstverein ein Jahresprogramm. „Wir müssen unser Geld mit den Veranstaltungen reinspielen und eine möglichst volle Hütte haben.“ Bittere Konsequenz: Fast das gesamte restliche Aufführungsprogramm 2020 ist abgesagt.
Während viele Initiativen sich durch Frühjahr und Sommer hinüberretten können und nicht mit Lob für Fördergeber sparen, sieht man die Politik des Bundes durch die Bank wesentlich kritischer. Der österreichische Kulturrat (ein Zusammenschluss von Interessensgemeinschaften) erneuerte am Wochenende seine Kritik an der Regierung: „Für die gemeinnützigen Kunst- und Kulturvereine gibt es bis dato keine Unterstützung. Seit Wochen werden sie vertröstet, dass eine ,Soforthilfe‘ auch für Non-Profit-Organisationen in Vorbereitung sei.“
Bei der berühmten Kultur-PK im April hatten Kulturminister Werner Kogler und Staatssekretärin Ulrike Lunacek einen solchen Topf in Aussicht gestellt. Seither wurde es ruhig um die Sache. Doch es ist nicht nur der noch immer nicht eingereichte Hilfsfonds, der die meiste Sorge bereitet, sondern der Herbst, die fehlende Planbarkeit des Wiederhochfahrens. Die Säumigkeit der Bundespolitik, was genaue Regeln betrifft, wird allenthalben von Tag zu Tag dramatischer empfunden. Falls der Betrieb im Herbst immer noch empfindlich gestört ist, wird die Situation für kleine, mittlere und große Initiativen quer durchs Land existenzbedrohend. Dann könnte tatsächlich ein flächendeckender Zusammenbruch erfolgen.
Wie „wichtig“ das Kulturleben der Regionen in Wien ist, zeigt auch die mangelnde Kommunikation. So hat etwa der Grazer Kulturstadtrat Günter Riegler am 27. April bei Ulrike Lunacek um ein Gespräch über die Situation in der zweitgrößten Stadt Österreichs gebeten. Bis heute habe er keine Antwort erhalten, sagt Riegler.
Die Krise belegt aber auch, wie wenig Kultur schnödes Konsumgut ist. Michael Nemeth, der mit dem Musikverein für Steiermark eher zu den mittelgroßen Veranstaltern zählt, sagt, dass er ökonomisch bis zur Sommerpause mit einem „blauen Auge“ davonkommt. Eine Hilfe seien dabei das Abo-System und die langjährige Bindung zum Publikum. Viele verzichten auf Rückerstattungen von Tickets und spenden lieber.
Eine Erfahrung, die auch „Kleinveranstalter“ Joachim Steinacher macht. Er hatte im Sommer wieder das Stubenblues-Open-Air in der Südsteiermark geplant, musste aber auf 2021 verschieben. „Dennoch gab es total schöne Erlebnisse, die mir gezeigt haben, dass den Menschen Kultur nicht egal ist und sie Musik nicht als Konsumartikel sehen“, so Steinacher. Ein Großteil der Besucher behält die Karten und etliche haben von der Möglichkeit, für Künstler und Beteiligte zu spenden, Gebrauch gemacht.
Mit massiven Problemen hat Didi Tschmelak, künstlerischer Leiter des Grazer p.p.c., zu kämpfen. An dieser pulsierenden Stätte gehen jährlich rund 200 Konzerte über die Bühne. „Wir sind abgesehen von Einzelveranstaltungen kein gefördertes Unternehmen und müssen deshalb alle Kosten möglichst ganz runterfahren.“ Die Herausforderungen sind vielfältig. „Für unsere Branche gibt es keine klare Hilfe finanzieller Art und keine klaren Ansagen, wie es weitergehen soll“, sagt Tschmelak. „Das urbane Kulturleben liegt wahrscheinlich noch für Monate lahm. Ohne konkrete Hilfen wird es einen brutalen Kahlschnitt geben und jahrzehntelang aufgebaute Strukturen werden komplett ausgelöscht.“ Auch Tschmelak hat mit der Planungsunsicherheit am meisten zu kämpfen. „Geht es im Herbst weiter? Und wenn ja, wie genau?“ Musikalisch schwankt Tschmelaks Stimmung zwischen Slayer („Angels of Death“) und Nick Cave („The Weeping Song“). „Aber dann denke ich an FIVA und ihren Song ,Die Stadt gehört wieder mir‘“. Die Hoffnung in der Katastrophe, sie lebt.