Allein die finanziellen Unterschiede sind auf den ersten Blick gewaltig: 61,7 Millionen Euro wendet das Land Steiermark pro Jahr für Kulturangelegenheiten auf, 2,3 Millionen für die Volkskultur. Kulturlandesrat Christopher Drexler, seit wenigen Wochen auch zuständig für Sport, Europa und Personal, hofft dennoch „auf gute Synergien und Kooperationen“ zwischen beiden Bereichen. Sollte er auch, schließlich verantwortet er in der aktuellen Legislaturperiode beide, Kultur und Volkskultur. Seit Josef Krainer war das nicht mehr so. Mehr Zusammenarbeit soll es nun geben, etwa im musealen Bereich.
Dass Brauchtum und Gegenwartskultur zusammengehen, ist für ihn klar: „Die Volkskultur muss man als integrativen Bestandteil der steirischen Kulturleistung sehen.“ Die Trennung von Hoch- und Volkskultur sei „eine ganz furchtbare Dichotomie. Mein Anspruch ist es, vom Volksliedwerk bis zum steirischen herbst ,hohe‘, also qualitativ hochwertige Kultur in der Steiermark zu verwirklichen.“ Aufs reine Bewahren des Überlieferten will er die Volkskultur dabei nicht reduziert sehen: „Natürlich geht es darum, Brauchtum und aus der Tradition entsprungene Gattungen von Kunst und Kultur hochzuhalten. Das heißt aber nicht, dass wir nicht darauf achten, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Insofern kann man den Begriff der Volkskultur sehr weit fassen, auch wenn das Einzelnen nicht gefällt“, sagt er. Darauf angesprochen, inwieweit angesichts von Migration und Globalisierung auch importiertes Brauchtum Teil der Volkskultur sein kann, bleibt Drexler aber eher vage: „Auch das wird in der steirischen Kultur natürlich eine Rolle spielen.“
Dass er sich nicht als oberster Kulturkonservator sieht, macht Drexler dennoch deutlich. Auf die Frage, was ihm in der steirischen Kulturlandschaft fehlt, gibt er eine überraschende Antwort: „Ein offener Nachdenkprozess darüber, wie die Festivallandschaft in der Steiermark aussieht und ob man hier gestaltend eingreifen soll. Wir müssen darüber nachdenken, ob die nächsten 50 Jahre alles so bleiben soll, wie es die letzten 50 Jahre war.“ Heißt das, er will den steirischen herbst, die styriarte abschaffen? Drexler wiegelt ab, hält aber fest: „Ich trete als Kulturpolitiker sicher nicht mit dem obersten Ziel an, alles zu erhalten, wie es ist. Bewahren des Status quo ist nicht mein politischer Ansatz, erst recht nicht in der Kulturpolitik. Würden wir einfach nur die Käseglocke über die steirische Kulturlandschaft stellen, hätten ja jene recht, die sagen, früher war alles besser. Denn früher ist ja Neues entstanden.“
„Man kann mir e-mailen“
Sein erstes kulturpolitisches Ziel sei es daher, „dass neue Dinge entstehen. Sonst würde man ja Kulturpolitik aufs Konservatorische beschränken, und das darf nicht sein. Aber da die Ressourcen beschränkt sind, muss die Frage gestellt werden: Muss Altes weichen, wenn wir Neues wollen? Das heißt um Himmels willen nicht, dass die großen Institutionen alle zur Disposition zu stellen sind. Mitnichten! Aber auch innerhalb großer Institutionen kann das Neue gewagt werden.“ An welchen konkreten Beispielen lässt sich das beschreiben? Drexler: „Die benenne ich jetzt sicher nicht. Aber meine Lust, diese Diskussionen zu führen, ist sehr groß.“
Dazu passt jedenfalls der Plan einer neuen kulturpolitischen Leitlinie, die Drexler in einem „solide angelegten partizipativen Prozess“ entwickeln will, „mit breiter Beteiligung über die bisherigen Bereiche Kultur und Volkskultur hinweg“. Er sei für jeden Input dankbar, die Einladung ernst gemeint: „Man kann mir e-mailen.“
Präsentation Ende 2021
Starten soll dieser Prozess noch in diesem Frühjahr und bis Ende 2021 präsentationsreif sein, „etwa zum Finale der Steiermark-Schau“, hofft Drexler. Sein Nachfolgeprojekt von Landesausstellung und Regionale, dotiert mit rund neun Millionen Euro aus dem allgemeinen Landesbudget und vom Universalmuseum Joanneum exekutiert, wird voraussichtlich im Frühsommer vorgestellt. Nebst den drei Grazer Standorten Volkskundemuseum, Museum für Geschichte und Kunsthaus stehen auch bereits vier Stationen für den zugehörigen mobilen Pavillon fest: Schladming, Spielberg, Hartberg und Bad Radkersburg. Eine fünfte Station in der Weststeiermark oder in der Region Mariazell könnte sich auch noch ausgehen, je nach Errichtungstempo der Stahl- und Textilkonstruktion.
Zentrales Ausstellungsobjekt der Schau, sagt Drexler, „ist das Land selbst. Wir wollen eine große Selbstreflexion der Steiermark und des Steirischen unternehmen: Woher kommen wir? In welchen Kontexten und Identitäten leben wir? Wohin werden wir uns in der Zukunft weiterentwickeln?“
Kulturhauptstadt und Reform der Förderkultur
Dass es die Schau mit wechselnden Schwerpunkten künftig im Zweijahresrhythmus geben wird, ist relativ fix, die Ausgaben 2023 und 2025 sind schon in Planung. Dazwischen, 2024, ist die Steiermark mit vier Gemeinden an der Europäischen Kulturhauptstadt Bad Ischl & Salzkammergut beteiligt. Auch vor deren Schwerpunkt auf Kulturerbe und Tourismus werde sich „ein gemeinsames Ressort für Kultur und Volkskultur bewähren“, glaubt Drexler. Auch angesichts der bevorstehenden Budgetkonsolidierung? Er habe im Zuge des Sparkurses vor, „die Binnenstruktur meines Ressortbudgets zugunsten der Kultur zu verändern, und ich bin relativ guter Dinge, dass das gelingen wird“, sagt Drexler. Ansonsten werde er die internationale Wahrnehmung steirischer Kulturschaffender durch Residencies und Stipendien weiter vorantreiben, außerdem überlegt er eine Reform der Förderstruktur, speziell des oft kritisierten Landeskulturkuratoriums und seiner Fachbeiräte. Das muss ohnehin 2021 neu bestellt werden.
Drexler über herbst-Intendantin
Darüber hinaus stehen Neuausschreibungen bzw. Vertragsverlängerungen in den nächsten Jahren auch für die Geschäftsführung des Joanneums, für die Intendanzen in Schauspielhaus und Oper und im steirischen herbst an. Bei Letzterem will Drexler jedenfalls „sehr rechtzeitig ausschreiben. Aber damit ist überhaupt keine Prädisposition verbunden. Intendantin Ekaterina Degot konnte ihr erstes Festival ja nur sehr kurzfristig planen, und ich glaube entgegen manchen anderen Meinungen, dass die ersten beiden Festivals durchaus bemerkenswert waren, insbesondere das erste, ,Volksfronten‘.“
Ute Baumhackl