Sie sind Physiker und Wissenschaftsjournalist – und Sie wurden als Eröffnungsredner für das Kulturjahr 2020 ausgewählt. Wie passt das zusammen?
Ranga Yogeshwar: Was ich mache, hat sehr viel mit Kultur zu tun. Ich habe selber einmal Klavier studiert, insofern ist Kultur ein Teil meines Denkens. Und in dem Zusammenhang hier geht es darum, dass die Technik Kultur beeinflusst. Es gibt eine enorme Wechselwirkung. Wenn wir zum Beispiel die Digitalisierung und künstliche Intelligenz anschauen, dann wird sich unser Kulturverständnis auf epochale Weise verändern.
Sie sind ein Wissensvermittler. Warum tun sich die Menschen – Stichwort Klimakrise – so schwer, das Wissen in Taten umzusetzen?
Es gibt Bereiche, da sind die Menschen sehr schnell: Sie zeichnen dieses Gespräch mit einem Smartphone auf. Vor 25 Jahren wäre das nicht möglich gewesen. Das belegt, dass Sie, wie viele andere Menschen, diese Technik sehr rasch annehmen. Auf der anderen Seite gibt es Erkenntnisse, die dazu führen, dass wir unseren Business-as-usual-Trott ändern müssen. Etwa beim Klimawandel. Das heißt, wir müssen – es ist kein können –, wir müssen bestimmte Dinge in unserem Wirtschaftssystem und der Art und Weise, wie wir leben, verändern. Da tun wir uns schwer, weil wir natürlich, wie Kant es so schön ausdrückte, bequem sind. Und damit auch ein bisschen unmündig.
Thema Ihres Vortrags war „Emils Welt“. Wenn Sie an Emils Zukunft denken, welches Bild kommt Ihnen in den Kopf?
Zunächst einmal: Emil ist gerade am 18. Januar geboren worden und machte mich zum Großvater. Es spricht viel dafür, dass er das 22. Jahrhundert erleben wird. Wenn man sich einfach einmal die Frage stellt, was sich ändern wird, lohnt es sich, zurückzublicken: Wie sah die Welt vor 80 Jahren aus? Diese Welt ist global geworden, vernetzt, diese Welt hat einen unglaublichen Schub an Innovationen erlebt. Diese Welt ist eine, in der die Kindersterblichkeit dramatisch gesunken und die Lebenserwartung dramatisch nach oben gegangen ist. Da hat sich also sehr viel verändert. Und die Welt in 80 Jahren – also Emils Welt, wenn man so will – wird eine sein, in der diese Veränderungen noch rascher vorangehen.
Wie wird diese Welt aussehen?
An einigen Stellen kann man erahnen, wo die Reise hingeht, an anderer Stelle nicht. Das ist eine der wichtigen Erkenntnisse: Wir sind unfähig, Zukunft richtig zu denken. Das fängt schon damit an, dass wir in den Kategorien der Gegenwart Zukunft extrapolieren – das funktioniert nicht. Zu Zeiten der Dampfmaschine träumte man, dass es irgendwann superschnelle Dampfmaschinen gibt oder gar Dampfkraftflugzeuge. In ähnlicher Weise werden wir in nächster Zeit solche Veränderung sehen. Die andere spannende Frage ist: Was wird aus unserer Welt in Emils Welt bleiben? Wie viel Mensch wird noch übrig bleiben und was ist der Mensch eigentlich? Wie veränderte sich das Selbstbild des Menschen in den letzten und wie verändert es sich in den nächsten 80. Da gibt es ein paar Dinge, die bleiben.
Woran denken Sie da?
Emil ist zur Welt gekommen und seine Mutter liebkost ihn. Ich glaube, in 80 Jahren wird dieses Verhalten immer da sein. Wir haben bestimmte fast zeitlose Grundeigenschaften, die in unserer Persönlichkeit vernetzt sind. Wir müssen uns auch einmal die Zeiträume bewusst machen: Wir Homo Sapiens sind das Produkt von viereinhalb Milliarden Jahren Evolution. Und jetzt sorgen wir uns, weil wir eine Entwicklung haben, die vielleicht 150 Jahre alt ist und denken, das ist unser Ende. Wir sollten ein bisschen mutiger sein und darauf vertrauen, dass es auch etwas in uns gibt, das wahrscheinlich noch bleiben wird. Ich glaube, dass sich Menschen auch in 100 Jahren noch küssen, lieben und streiten werden. Das gehört dazu.
Kern des Kulturjahres ist die Kunst. Wie groß sind die Berührungspunkte und -ängste zwischen Wissenschaft und Kunst?
Ich war immer ein sehr großer Fan davon. Für mich zeigt Kunst oft Perspektiven, die in der Technik und der Wissenschaft verschlossen sind. Oft antizipiert Kunst Zustände, die erst später im Technischen realisiert werden. Sie starten zwar von unterschiedlichen Kontinenten, aber wenn man tief genug bohrt, trifft man auf einen ähnlichen Kern.