Eine „zweite Realität“ nennt das Theater im Bahnhof, was im Rahmen der Performance „Menschenmarkt“ am Eggenberger Bauernmarkt passiert: Mitten im samstäglichen Getümmel zwischen Markt und Wahlstandln stellt sich das herbst-Publikum einer (Un-)Möglichkeit: dem Entkommen aus der Armut. Ausgestattet mit einer fiktiven Biografie gilt es in dem Rollenspiel unter der Regie von Ed. Hauswirth, Punkte zu sammeln, um dem Teufelskreis zu entkommen.
Spiel und Armut – wie geht das zusammen? Mit Respekt vor der Sache und jedenfalls informativ. Wenn nach rund eineinhalb Stunden das Ziel erreicht oder die Hoffnung erschöpft ist, weiß der aktive Zuseher mehr über die Abwärtsdynamiken und Probleme im Kontext von Armut. Dazu bringt das „Spiel“ Mitspielende und echte Experten, etwa aus der Schuldenberatung, zusammen. Das Experiment glückt, weil es dramaturgisch austariert und unterhaltsam organisiert ist.
Weniger glücklich endete die Performance „The Global Congress of Post-Prostitution“, ein Auftragswerk der georgischen Philosophin Keti Chukhrov. Rund die Hälfte des Publikums erlebte in der ermüdenden, mitunter verwirrenden und schrillen (Leoprint-Unterhosen, Latexoveralls), zugleich lustlosen Inszenierung von Guram Matskhonashvili das Ende nicht. Saalflucht statt Bühnenorgie – trotz des wichtigen Themas Sex und Ausbeutung, Unterdrückung und Beherrschung von Körpern, das in zwölf Szenen erzählt und mitunter konterkariert wurde.
Vorläufiger Höhepunkt bis jetzt: zweifelsohne der Vortrag der israelischen Soziologin und Autorin Eva Illouz. Im Vortrag „Das Glücksdiktat“ räumte sie im vollen Orpheum Extra vor vorwiegend jungem Publikum mit der billionenschweren Glücksindustrie, dem ultraindividualisierten Selbstoptimierungswahn, dem staatlichen Kalkül hinter einer glücklichen Gesellschaft, diversen Indexen und der installierten positiven Psychologie auf. Eine spannende Vorschau für das gleichnamige Buch, das sie mit Edgar Cabanas verfasst hat und das Ende Oktober erscheint.