Nein, das Programm steht natürlich noch nicht. Schließlich ist Ekaterina Degot erst seit 1. Jänner in Amt und Würden. Konkrete Projekte will sie daher erst im März präsentieren. Aber über den Bezugsrahmen ihres ersten steirischen herbsts ist die neue Intendantin bereit zu sprechen. Treffpunkt ist ihr Büro. Leere Regale, es wird gerade aufgeräumt und umarrangiert.
Sie richten sich im Palais Attems neu ein. Was werden Sie denn am steirischen herbst umbauen?
Ekaterina Degot: Wir versuchen gerade herauszufinden, was das Palais ästhetisch und historisch darstellt. Das ist kein Zufall, denn der ortsspezifische Zugang wird ein wichtiger Teil unserer Arbeit sein. Wir suchen also nach neuen Orten und nach neuen Geschichten, die diese Orte über Graz, das Land, seine Geschichte und seine heutige Situation erzählen.
Die Bücher auf Ihrem Schreibtisch lassen vermuten, dass Sie gerade die herbst-Geschichte durchackern.
Ja, ich setze mich damit auseinander und entdecke viel Interessantes an der Intendanz von Horst Gerhard Haberl. Da gab es viele Ideen, an denen wir weiterarbeiten können.
Bitte um ein Beispiel.
Das nomadische Prinzip etwa. Oder die Arbeit am Urbanen, der Umgang mit Orten in der Stadt, die nicht spektakulär oder touristisch sind, sondern das reale Leben repräsentieren. Wir wollen im Sinne dieser Haberl'schen Ideen auch mehr in 8020 arbeiten. Ich wohne dort selbst und bin von diesem komplexen Stadtteil begeistert.
Ihre Vorbereitungszeit von Ihrer Ernennung im April bis zum ersten Festival Ende September ist ziemlich kurz. Für Vorarbeiten am Theater fast unmöglich, oder?
Das würde ich nicht sagen. Ich sehe unsere Arbeit als wirklich interdisziplinär. Ich komme aus der Tradition der Avantgarde in der visuellen Kunst Anfang der 50er-Jahre, da wurden Malerei, Musik, Theater, Literatur nicht getrennt, sondern im großen, universellen Sinn betrachtet.
Heißt das, Sie werden, wie im Festivalbetrieb üblich, keine fertigen Produktionen zukaufen?
Als Kuratorin bin ich eher an eigenen, auch kleineren Produktionen interessiert. Wir werden sehen, ob es utopisch ist, nur ortsspezifisch zu arbeiten, aber es geht dabei ja nicht nur um Graz, sondern um das, was uns Graz über den Zustand der Welt und der Gegenwart erzählt.
Geht all das überhaupt mit im Festivalvergleich eher knappen 4,7 Millionen Euro Budget?
Ich halte das für möglich.
Was sagen Sie zum Anspruch, der herbst müsse eine Art documenta für alle Sparten sein?
Ich halte das für legitim. Sowohl documenta als auch steirischer herbst sind in der Zeit des Kalten Krieges und aus der Idee entstanden, dass die schöne Utopie der Avantgarde uns vor der Vergangenheit rettet. Der herbst ist sogar interessanter, weil er interdisziplinär ist.
Aber er soll jährlich leisten, was Kassel nur alle fünf Jahre leistet.
Wir planen aber auch den herbst als Fünfjahresprojekt. Heuer wird das eine Art Prolog-Edition, und ich hoffe, wir können einige Werke über die Jahre als Prozess zeigen.
An Ihrer letzten Wirkungsstätte, der Kölner Akademie der Künste der Welt, haben Sie Schwerpunkte in den Bereichen außereuropäische Kunst und postkolonialer Diskurs gesetzt. Ist das auch für den steirischen herbst zu erwarten?
Mich interessiert hier mehr das, was ich „lokalen Globalismus“ nenne. Es gibt hier auch Geschichten mit kolonialer Komponente, etwa das Verhältnis zwischen dem österreichischen Imperium und zum Beispiel Kroatien. Gibt es da noch koloniales Denken? Das halte ich für eine wichtige Frage.
Heißt das, Sie wollen den sogenannten Trigon-Raum wieder ins Blickfeld nehmen?
Ja. Vielleicht sogar explizit. Aber auch Osteuropa generell.
Kann man sagen, dass Ihr Zugang stark historisch geprägt ist?
Ich bin auch Kunsthistorikerin, ich beginne also meine Recherchen immer aus der Geschichte. Aber sie dient vielleicht nur als Hintergrund für Projekte über heutige Zeiten. Ich finde es zum Beispiel enorm spannend, dass John le Carré als Angehöriger der britischen Besatzung nach dem Krieg hier im Palais Attems gearbeitet hat. Das heißt nicht, dass wir etwas daraus machen, aber man kann solche geschichtlichen Details Künstlern für den Hinterkopf mitgeben.
Gibt es Programmbereiche, die Sie aufgeben werden?
Wahrscheinlich werden wir vom Festivalzentrum zurückkehren zur „herbst“-Bar. Ich glaube, dass sich viele so einen Treffpunkt wieder wünschen.
Was hat es mit Ihrer „Wunschliste“ auf sich, von der man hört?
Das ist eine bisher noch vage Idee, Dinge, Schauplätze zu realisieren, die derzeit noch nicht existieren, die den Menschen fehlen. Das soll irgendwo zwischen dem Praktischen und dem Poetischen angesiedelt sein; ein temporärer Buchladen etwa. Aber es gab auch schon den Wunsch, dass Graz am Meer liegen sollte.
Wird sich am zeitlichen herbst-Ablauf etwas ändern?
Ein großer Wunsch von uns ist es, auch während des Jahres präsent zu sein, nicht nur zur Festivalzeit.
Ihre ersten Eindrücke von Graz?
Ein sehr spannender Ort, auch von der politischen Lage. Als jemand, der aus Moskau kommt, freue ich mich, in einer kleineren Stadt zu leben. Und als Russin finde ich es schön, dass es hier einen Winter gibt.
Gibt's schon einen Lieblingsort?
Mehrere. Ich mag den Grazer Mühlgang sehr, der manchmal so unerwartet auftaucht und wieder verschwindet.
Seit Verkündung Ihrer Intendanz hat es in Österreich eine umfassende politische Veränderung gegeben. Was sagen Sie dazu?
Ich mache mir natürlich Sorgen. Ich weiß ja aus Erfahrung, wie solche rechtspopulistischen Systeme funktionieren. Das kann für Künstler richtig gefährlich werden. Ich nehme die Situation also schon sehr ernst. Die Kunst kann da vielleicht entgegensteuern, sie tut es in einigen Ländern ja auch bereits.