Kinder wuseln vorbei zum Spieleclub. In der Garderobe des Grazer Jugendtheaters Next Liberty herrscht, zwischen Proben und Vorstellungen, noch die Ruhe vor dem Sturm. An der Wand hängen Fotos von Erfolgsproduktionen - und da gab es zuletzt viele: zum Beispiel Nikolaus Habjans „Faust“ oder „Patricks Trick“ (Stella für Ensemblemitglieder Michael Großschädl und Christoph Steiner). Seit 2004 ist Michael Schilhan Geschäftsführender Intendant des Next Liberty. Rund 65.000 junge Besucher sehen pro Jahr die Produktionen im Haus und das Kindermusical in der Oper. Kürzlich wurde sein Vertrag um fünf Jahre verlängert.

Bei der Verkündung der Vertragsverlängerung hielt der Aufsichtsratsvorsitzende Alfred Wopmann ein flammendes Plädoyer für die Bühnen der Stadt. Er meinte, angesichts der Qualität würden die Wiener zu Graz heraufschauen. Ihre Einschätzung?

MICHAEL SCHILHAN: Ja, ich würde niemals tauschen wollen. Seit die Bühnen-GmbH gegründet worden ist, hat sich das massiv verändert - zum Positiven. Von 2001 bis 2003 war das Next Liberty im Orpheum untergebracht. Da musste ich schauen, dass wir überleben und die Marke erhalten. Seit der GmbH-Gründung ist es für uns aufwärtsgegangen. Schauspielhaus, Oper und wir - wir durften eigene Profile entwickeln. Wir arbeiten gut miteinander. Motto: strenge Rechnung, gute Freunde. Wir kooperieren dort, wo es Sinn macht.

Sind Ihnen 16 Jahre am Next Liberty noch nicht genug?

Nein, ich bin ja ganz verliebt in dieses Theater! Ich habe auch meine auswärtigen Regien. Aber jedes Mal komme ich zurück und habe erfahren: Wir alle leisten hier Großartiges. Bei mir ist das so: Jeden Tag, wenn ich in mein Theater gehe, erlebe ich etwas Neues, ich werde immer ein bisschen überrascht. Wir befinden uns auf einer sehr guten Flughöhe. Aber fertig sind wir noch nicht.

Der Jahreswechsel ist eine Zeit, in der neue Vorhaben und Ziele formuliert werden. Was wünschen Sie sich für Ihr Haus ?

Wir haben einen großen Raum für 300 Sitzplätze. Was uns noch fehlt, ist ein kleinerer Raum. Wo man kleinere Kinder begeistern könnte. Es gibt tolle Kleinkindtheater für Zwei- bis Dreijährige, die wir auch schon mit diversen Produktionen zu Gast hatten.

Kinder- und Jugendbuchautoren werden oft von Erwachsenen nicht wirklich ernst genommen. Gilt das fürs Theater auch?

Oft wird das Next Liberty noch als das wahrgenommen, was und wie es früher war: als reines Kinder- und Jugendtheater. Als Anhängsel von den großen Bühnen. Das hat sich zum Glück gewandelt. Manchmal sagen Leute zu mir: „Ich würde gerne zu dir kommen, aber ich muss mir erst ein Enkerl oder eine Tochter ausborgen!“ Das muss niemand. Wir sind ein offenes Haus - ein Theater für alle.

Von links nach rechts: Michael Schilhan, Nora Schmid, Alfred Wopmann, Iris Laufenberg, Wolfgang Hülbig, Bernhard Rinner
Von links nach rechts: Michael Schilhan, Nora Schmid, Alfred Wopmann, Iris Laufenberg, Wolfgang Hülbig, Bernhard Rinner © Bühnen Graz/Kanizaj

Forcieren Sie das?

Ja. Wir haben zum Beispiel in dieser Saison den Poetry-Slam „Dead or Alive“ eingeführt, wo Schauspieler und Slammer gegeneinander antreten. Schließlich haben wir mit Schauspieler Christoph Steiner auch den Österreichischen Slam-Meister 2016/17 im Ensemble.

Existieren für Sie dringende, drängende Themen, die geradezu jetzt danach schreien, im Theaterkontext bearbeitet zu werden?

Für mich ist das ganz eindeutig das Thema der Solidarität, das Zusammenhalten in einer Zeit, in der die Gesellschaft auseinanderdividiert wird und der Neid nach unten wuchert. Es ist eine gewisse Entfremdung zu beobachten. Aus meiner Sicht wird es immer wichtig sein, dass der Schwache in die Mitte geholt wird. Ich glaube daran, dass das Theater uns Dinge eröffnet.

Welche denn?

Wir begegnen Kindern auf Augenhöhe und nehmen sie ernst. Sie bemerken es sofort, wenn sie nicht unterschätzt werden.

Ab 13. Jänner inszenieren Sie Friedrich Torbergs Roman „Der Schüler Gerber“ in einer Version von Felix Mitterer: Wo sehen Sie die Aktualität des Stoffes?

Der Inhalt ist ja bekannt. Es geht mir darum, aufzuzeigen, wie Druck entsteht. Und zwar so viel Druck, dass sich Menschen in einem Klassenverband, der ja sinnbildlich für die Gesellschaft steht, gegenseitig fast zerfleischen, dabei immer enthemmter werden. Heute wird einem stets eingebläut, was man alles schaffen muss. Schon als Kind. Das geht so weit, dass Eltern Nachhilfelehrer für Volksschüler engagieren.

Die neue Bundesregierung pocht in ihrem Programm auf eine Bildungspflicht und baut den Leistungsgedanken aus. Ist das der richtige Weg?

Kinder nur in die Pflicht zu nehmen, ist nicht der richtige Zugang. Man muss darauf eingehen, dass das Menschen sind. Wir müssen Maß halten. Es gibt auch so etwas wie ein Herz und eine Seele. Natürlich kann man etwas von Kindern fordern. Aber: Mit Druck geht wenig. Das ist genauso schlecht wie das Zurückschrauben der kreativen Fächer. Wenn wir uns nicht mit sinnlichen Dingen beschäftigen, verlieren wir uns als Menschen, entfremden uns völlig.