Die Nationalratswahl am 29. September 2019 war – zumindest medial – dominiert von Skandalen. Auslöser für den vorzeitigen Wahlgang war Heinz-Christian Straches Offenbarungsvideo von Ibiza. Im Sommer dominierten verschiedene „Gates“, vom Schreddern von Druckerfestplatten bis zur via Hack an die Öffentlichkeit gelangten Buchhaltung der ÖVP. Den Paukenschlag am Ende setzte wieder die FPÖ mit dem Auftakt zur sich bis heute intensivierenden internen Schlammschlacht um blaue Spesensitten.

Nicht jeder Skandal hatte Auswirkungen auf das Wahlergebnis. Eine Folge hatten die Causae doch: Die Parteien waren über die meiste Zeit des Wahlkampfes Getriebene. Sich permanent in der Defensive wiederzufinden, bindet Ressourcen. 2019 wurde manche Enthüllung über Bande gespielt, die Absender der Attacken blieben zumindest teilweise im Verborgenen. Für künftige Kampagnen wird dieser Wahlkampfstil wohl prägend sein.

Bemerkenswert war wie schon 2017 die dramatische Kompetenzdivergenz bei den wahlwerbenden Gruppierungen. Für Sebastian Kurz von der ÖVP stellte das vorzeitige Ende der auf zehn Jahre angelegten Koalition mit der FPÖ auch eine Krise dar. Die Volkspartei war aber anders als ihre Mitbewerber in der Lage, die Rahmenerzählung des Wahlkampfs zu definieren und emotional aufzuladen. Schon am Abend der Koalitionsaufkündigung legte Kurz die Richtung fest: Wer die Veränderung wolle, könne sie mit der ÖVP haben, nur eben ohne blaue Skandale.

Der Höhepunkt des türkisen Wahlkampfes fand früh, am 27. Mai mit Kurz’ Abwahl im Nationalrat, statt. Persönlich war die zwar schwer zu verkraften. SPÖ und FPÖ hatten mit ihrem Schritt Kurz immerhin die Kanzlerbühne genommen. Die FPÖ konnte darüber hinaus vom Ibiza-Debakel ablenken. Die SPÖ verpasste sich mit der mangelnden inhaltlichen Aufladung des Misstrauensantrags (und in weiterer Folge des gesamten Wahlkampfes) allerdings selbst einen gezielten Knieschuss. Auf der Grundemotion der „ungerechten Abwahl“ fußte dann auch die Comeback-Erzählung von Kurz. Man versuchte, einen halbwegs positiv aufgeladenen „Jetzt erst recht“-Wahlkampf zu führen. An den Beginn des Intensivwahlkampfes setzte man, etwa mit dem viel diskutierten Video von Christiane Hörbiger, Erinnerungsstücke an die Abwahl. Die SPÖ – auch bei den Wahlkampftechniken schwer ins Hintertreffen geraten – konnte vom herbeigesehnten Ende von Türkis-Blau nicht nur nicht profitieren, sie stürzte auf ihr historisch schlechtestes Ergebnis ab.

Anders die Grünen: Sie kapitalisierten sowohl die mediale Aufmerksamkeit für das Klimathema wie auch die Reuegefühle ihrer Ex-Wählerschaft angesichts des Rauswurfs aus dem Nationalrat 2017. Auch die Neos präsentierten sich solide: Beate Meinl-Reisinger konnte den Abgang ihres Vorgängers Matthias Strolz vergessen machen, fand aber im Bildungsbereich nicht jene emotionale Aufladung wie die Grünen bei der Umwelt.

Die Freude des klaren Wahlsiegers Kurz war am Wahltag nicht ungetrübt. An Zustimmung hatte er zwar klar zugelegt, die Koalitionsoptionen waren aus seiner Sicht aber allesamt wenig prickelnd. Die Verhandlungen mit den Grünen verlaufen naturgemäß nicht einfach. Bei Licht besehen gibt es aber kaum stabile Alternativen für Kurz. FPÖ und SPÖ haben sich aus dem Spiel genommen und auch eine Minderheitsregierung birgt schwer kalkulierbare Risiken. Dass die Nervosität in der Endphase der Verhandlungen noch einmal steigt und auch das eine oder andere Foul passiert, ist logisch. Das ist auch dem Druckaufbau auf das Gegenüber geschuldet. Man muss sich jetzt entscheiden, ob und mit welchen Inhalten man abschließt. Liebesheirat wird das keine mehr. Die Frage ist, wie genau man die heiklen Konfliktpunkte ausdefiniert beziehungsweise ob man es zumindest teilweise bei schwammigen Überschriften belässt.