Steile These: Hat das Christkind ein Sommerdomizil, dann liegt es höchstwahrscheinlich in Hernals. In der Schumanngasse 87, um genau zu sein, wo Sabine Perzy selbst im Sommer bei 30 Grad im Schatten die Schneekanone anwirft. Denn das nächste Weihnachtsgeschäft kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Vor allem, wenn man in einer Schneekugelmanufaktur arbeitet.

Eine Schneekugel fast wie vom Zuckerbäcker: Schaumrollen und Sachertorten zum Schütteln
Eine Schneekugel fast wie vom Zuckerbäcker: Schaumrollen und Sachertorten zum Schütteln
© Aufreiter Georg

Die Kaiserin im Schüttelglas

Im Verpackungsraum stapeln sich bereits die Kisten, im Inneren tanzen die Flocken: Leise rieselt der Schnee über Motive wie das Wiener Riesenrad oder den „Steffl“. Aber auch Punschkrapferl, Würstl mit Senf, Kaiserin Elisabeth, Johann Strauß und der Froschkönig hüllen sich in Weiß. Die kleinen Figuren entwirft und zeichnet Sabine Perzy selbst. Danach kommt eine Negativform für die Spritzgussmaschine zum Einsatz. Vereinfacht erklärt: „Das Prozedere funktioniert so ähnlich wie bei Teig, der in eine Kuchenform kommt.“ Bemalt wird allerdings nach wie vor alles händisch. In der Produktionsstätte beugt sich eine Mitarbeiterin über Hunderte von Igel. Die stacheligen Gartenbesucher gehen heute noch peu à peu auf Tuchfühlung mit der Klebstofftube.

Hat im Schneekugelmuseum das Sagen: Sabine Perzy
Hat im Schneekugelmuseum das Sagen: Sabine Perzy
© Aufreiter Georg

Verkaufsschlager im Schneekugelmuseum

Das Repertoire wird laufend erweitert. Gefertigt werden auch Spezialwünsche. Selbst die mächtigsten Männer der Welt klopften bei den an Perzys an: Ronald Reagan, Bill Clinton und Barack Obama – sie alle schütteln Kugeln aus dem 17. Wiener Gemeindebezirk. Manchmal gibt auch das tagesaktuelle Geschehen die Themen vor. Besonders in Erinnerung geblieben ist Sabine Perzy ihr Corona-Update: „Eine Klopapierrolle, die ursprünglich als Witz gedacht war – über die Hamsterkäufe zu Beginn der Pandemie.“ Dass sich daraus noch ein Verkaufsschlager entwickeln soll, ahnte damals niemand. Binnen Stunden trudelten Hunderte Bestellungen ein. Doch aus das kann den Familienbetrieb nicht schocken. In der kleinen Manufaktur herrscht ganzjährig Höchstbetrieb. Insgesamt 200.000 Schneekugeln werden in den 365 Tagen hergestellt und in alle Welt verschickt. Die Hauptabnehmer sitzen in den USA und Japan. Plagiate sind kein Thema im Hause Perzy. „Wirklich schön rieselt’s halt nur bei uns – und das sogar ganze zwei Minuten.“

Relikt aus der Krise: eine Klopapier-Schneekugel
Relikt aus der Krise: eine Klopapier-Schneekugel
© Aufreiter Georg

Der Daniel Düsentrieb seiner Zeit

Was haben die schlauen Leute dieser Welt bereits gegrübelt und getüftelt, mit Erfolg oder ohne. Geistesblitze, die für immer vage bleiben neben Erfindergeist, der alles verändert. Die Sache mit den guten Ideen, das klingt auf den ersten Blick hochkomplex, aber eigentlich ist es ganz einfach. Zumindest im Fall von Erwin Perzy I., dem Urgroßvater von Sabine. Ihn führte nämlich der Zufall zum Erfolg. Eines ist sicher: In Entenhausen wäre dem Wiener die Rolle als Daniel Düsentrieb sicher gewesen. Denn als Mechaniker von Chirurgieinstrumenten war der talentierte Tüftler stadtbekannt. Kein Wunder also, dass er es war, der anno dazumal darum gebeten wurde, die Beleuchtung in den städtischen Operationssälen zu verbessern.

Leise rieselt der Grieß

Zunächst kam eine sogenannte Schusterkugel zum Einsatz, also ein mit Wasser gefüllter Glasballon. „Ein Werkzeug, das man damals verwendet hat, um das Licht einer Kerze zu verstärken“, erklärt Urenkelin Sabine. Von da an braute sich etwas zusammen. Genauer gesagt: Perzy war es, der ein Süppchen kochte. Und zwar, indem er verschiedene Materialien ins Wasser warf – unter anderem kleine Glassplitter. „Er versuchte es auch mit Grieß aus der Küche“, erzählt Sabine und ergänzt: „Der rieselte irgendwann langsam zu Boden. Ein Effekt, der meinen Urgroßvater an Schnee erinnerte.“ Die erste Schneekugel war quasi marktreif. Das allererste Motiv in der Kugel, damals noch aus Metall, war die Wallfahrtskirche von Mariazell. Weder wienerisch noch weihnachtlich, doch der Grundstein für Perzys Erfolg war gelegt. Denn einer seiner Freunde betrieb einen Verkaufsstand in dem im 12. Jahrhundert gegründeten Ort der Gnade. Er war es, der Perzy um eine Kugel bat. Die Kerzen verkaufenden Kollegen staunten nicht schlecht.

Suchspiel: Finden Sie die Wallfahrtskirche von Mariazell?
Suchspiel: Finden Sie die Wallfahrtskirche von Mariazell?
© Aufreiter Georg

Schlechte Nachricht aus dem Schneekugelmuseum

Nur der Grieß erwies sich im Nachklang als wenig haltbar. Matschgefahr sozusagen. Also wurde das Rezept mit Hartwachs und Magnesium verfeinert. Und was steht noch auf der Zutatenliste? Sabine Perzy schüttelt lächelnd den Kopf. Was ihre Flocken federleicht macht, bleibt natürlich ein Familiengeheimnis. Was die Perzys hingegen ganz offen zugeben: Schneekugeln mögen keine Kälte. Befüllt mit Wiener Hochquellwasser, würden die kleinen Kugeln dieser Tage am Versandweg gefrieren. Damit am 24. Dezember trotzdem ein Schüttelglas unter dem Weihnachtsbaum liegt, bleibt nur eines zu hoffen: So Gott will, gibt’s Anschubhilfe vom Christkind …