Mulmige Gefühle, wenn rund 200 Millionen Zuschauer nach Tel Aviv blicken? Nein. Mitten im Brennpunkt Israel sind die Delegationen der 41 Länder, die rund 1500 akkreditierten Journalisten und die Tausenden ESC-Fans überrascht, dass die Sicherheitskontrollen um keinen Millimeter strenger wirken als im Vorjahr in Lissabon. Wie auch schon in Wien muss man an den Hintereingängen durch Sicherheitsschleusen wie auf einem Flughafen, ohne laminierte Ausweise mit Lichtbild, die um den Hals getragen werden müssen, geht ja heutzutage bei keiner Großveranstaltung mehr etwas. Die Zuteilung der Ausweise entschieden gemeinsam der öffentlich-rechtliche Sender der jeweiligen Nationalität, die EBU (Dachverband der Eurovision) und der israelische Sender Kan als Veranstalter.
Bisher wurde ich jedenfalls mit keiner „Körperkontrolle“ auf dem Austragungsgelände konfrontiert, die direkte Frage beim Eingang, ob ich Waffen bei mir trage, konnte ich kaum glauben. Man sieht auch keine Sprengstoffhunde, zudem wird am Abend im Euroclub, wo zum Tagesausklang abgetanzt werden kann, nicht einmal die Tasche oder der Rucksack inspiziert.
„Unser Delegationsbus wir von keiner weißen Maus auf dem Weg vom Hotel zur Halle begleitet wie sonst beim ESC üblich. Durch die permanente Bedrohungssituation herrscht hier wohl eine ganz andere Sicherheit, die anders ausgerichtet und verdeckt ist und man als Besucher nicht so offensichtlich mitbekommt“, vermutet der ORF-Delegationsleiter Stefan Zechner. Der Probenablauf im Messe- und Kongresszentrum von Tel Aviv (fasst rund 8000 Besucher) und das Rahmenprogramm für die Künstler funktionieren so halbwegs pünktlich. Die Organisation ist „charmant chaotisch, der Mentalität der Menschen hier entsprechend“, formuliert es Zechner.
Sparsame Inszenierung
Der mit Paenda morgen mit Startnummer neun um den Aufstieg ins Finale zittert. ORF-Kommentator sieht die Chancen 51:49 Prozent für Österreich. Da viele Länder auf eine Materialschlacht setzen und möglichst viele Effekte und Feuerwerk in ihre drei Minuten eingebaut haben, soll die Steirerin mit ihrer Ballade „Limits“ durch eine „ruhige, reduzierte Inszenierung“ herausstechen, so Zechner. Nachsatz: „Wir gehen heuer bewusst ins Risiko. Nach dem dritten Platz mit Cesár Sampson im Vorjahr wollten wir uns etwas trauen und nicht mit Mainstream ins Rennen gehen.“
„Mehr als die Hälfte des Lieds sitzt die 31-Jährige, rundherum funkelt es wie in einer Galaxie. „Wir wollen einen Raum im Raum schaffen, fast ein schwarzes Loch“, sagt die blauhaarige Sängerin, die im Refrain mit „I'm talking 'bout you, you, you“ ja sich selbst anspricht – und keine andere Person, wie man beim schnellen Hinhören glauben könnte.
Fix im Finale wird die Schweiz nach jahrelanger Durststrecke gesehen. Luca Hänni, Gewinner von „Deutschland sucht den Superstar “ 2012, soll in die Fußstapfen von CélineDion treten. Der sympathische Berner kommt bei seinem Getanze zu seinem orientalischen Dance-Sound jedoch fast aus der Puste. „Ich habe mir die schwierigste Kombination ausgesucht“, lacht er dennoch zuversichtlich. Und ortet ebenfalls keine Bedrohung in der Luft: „Die Stimmung ist super, dieses Willkommensgefühl überwiegt!“ Hier ist ein Video einer seiner Proben:
„Dare to Dream“ („Zu träumen wagen“) haben die Gastgeber des 64. Eurovision Song Contest als Slogan gewählt, damit soll Hoffnung ausgedrückt werden; in Wien hat 2015 das Motto ja „Building Bridges“ („Brücken bauen“) gelautet. „Die Eurovision ist eine Gelegenheit für eine unglaubliche weltweite Präsentation“, erklärt Bürgermeister RonChuldai. Alle seien so aufgeregt, „wie wenn man ein Baby erwartet“. Und so will man hier trotz allem die Normalität und Leichtigkeit einer Küstenmetropole mit Sandstränden, Traumwetter und Partystimmung vermitteln.
Christian Ude aus Tel Aviv