Teenieserien gibt’s auf Netflix wie Sand am Meer – da kann man schnell mal den Überblick verlieren. Im Sammelsurium der austauschbaren High-School-Dramen schlummert aber ein Juwel aus Großbritannien, das die Konkurrenz ganz alt aussehen lässt. „Heartstopper“ nennt sich dieser ungeschliffene Seriendiamant, dessen Blick auf jugendliche Liebe so zärtlich, so einfühlsam, ja so modern wirkt, wie kaum etwas Vergleichbares im Streamingzeitalter.
In Staffel 2 wird die Romanze zwischen Rugbyspieler Nick (Kit Connor) und Softie Charlie (Joe Locke) ähnlich unbekümmert und liebevoll weitergesponnen. Soll aber nicht heißen, dass alles so rosarot ist, wie es den Anschein macht. Diesmal lässt Schöpferin Alice Oseman, die auch die Comicvorlage zu verantworten hat, die pubertierenden Protagonisten den vollen Wahnsinn ihrer rebellierenden Hormone durchmachen. Nick hadert damit, sich seinen Sportkollegen gegenüber zu outen. Charlies bester Freund Tao (William Gao) und die transsexuelle Elle (Yasmin Finney) sind sich unschlüssig, ob ihre Liebe zueinander romantisch oder doch nur platonisch eine Zukunft hat. Turteltäubchen Tara (Corinna Brown) und Darcy (Kizzy Edgell) müssen lernen, sich unbequemen Konversationen zu stellen. Dabei hätte ein Schultrip nach Paris ja eigentlich eine Flucht vor Herausforderungen des Alltags werden sollen. Doch selbst in „la cité de l’amour“, der Stadt der Liebe, lässt es nicht ewig vor Problemen davonrennen.
Die Gefühle spielen demnach verrückt, es tun sich unerforschte Konflikte auf, aber den empathischen Draht zu ihren Figuren verliert Serienmacherin Oseman in keiner Minute. So selbstverständlich und ungezwungen die Serie progressive Denkanstöße in für alle Altersgruppen nachvollziehbare romantische Handlungsstränge verwebt, bleibt beeindruckend. Kein Hauch von Selbstgefälligkeit, keine Spur gekünstelt. Nicht zuletzt verdankt die Serie ihren aufrichtigen, emotionalen Sog einer voll engagierten Besetzung, die sich aus unverbrauchten, authentischen Gesichtern zusammensetzt. Die einzige Ausnahme im Cast der Newcomer: Oscar-Preisträgerin Olivia Colman, die in einzelnen Momenten als verständnisvolle Mutter der Hauptfigur aufblitzt. Die offenherzige Darstellung junger, queerer Romantik ist jedenfalls sogar im aufgeklärten 21. Jahrhundert einmalig. Da darf es zwischenzeitlich auch ein bisschen kitschig werden, in der Liebe ist nun mal alles erlaubt.
Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆ (4/5)
"Heartstopper" ist auf Netflix zu sehen.
Christian Pogatetz