Man nehme eine geerdete Coming-of-Age-Story mit viel Identifikationspotenzial, versetze diese in einen effektgeladenen Fantasy-Überbau und füge dem Ganzen noch ein paar Martial-Arts-Akzente hinzu. Ein Rezept, das so klingt, als wären zu viele Köche am Werk gewesen, avanciert in der neuen Disney-Serie "American Born Chinese" zum überaus leckeren Genre-Cocktail. Basierend auf der gleichnamigen Graphic Novel von Gene Luen Yang setzt die Geschichte im überschaubaren Alltag des Zehntklässlers Jin Wang (Ben Wang) an.
Jin, der wegen seiner chinesischen Herkunft mit Identitätsproblemen und Vorurteilen zu kämpfen hat, wünscht sich nichts sehnlicher, als endlich Teil der "coolen Kids" zu sein – der schwer zu navigierende High-School-Dschungel ist bekanntlich eine Farce. Frisch im neuen Schuljahr angekommen, versucht er, seine nerdigen Vorlieben bestmöglich zu kaschieren, und setzt alles daran, ins begehrte Fußballteam aufgenommen zu werden. Und genau dann, als sein Traum in greifbare Nähe rückt, wird er plötzlich dazu verdonnert, einen Austauschschüler unter seine Fittiche zu nehmen. "Er sei ja ebenfalls Asiat", lautet die unterschwellig rassistische Begründung seitens der Klassenlehrerin. Das eigenbrötlerische Verhalten von Wei-Chen (Jimmy Liu) macht dem Vorhaben Jins zunächst einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Doch bald sollte sich herausstellen, dass Wei-Chen nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Der mutmaßliche Austauschschüler ist in Wirklichkeit nämlich eine Himmelsgestalt auf der Suche nach einem magischen Artefakt. Und bei dieser weltenüberschreitenden Suche soll ausgerechnet Jin eine Schlüsselrolle spielen.
Im Minutentakt wird zwischen greifbaren Schnappschüssen aus dem Leben eines pubertierenden Jugendlichen und mythologisch aufgeladener Action geswitcht. Die Wechsel von intim zu bombastisch mögen zum Teil überfordern, doch gelingt der Serie der ambitionierte Balanceakt in puncto Ton und Atmosphäre nahezu nahtlos. Zwischen all dem Spektakel berührt das von Kelvin Yu entwickelte Projekt aber dann am meisten, wenn Figuren Verletzlichkeit offenbaren. Das Drehbuch überrascht mit intelligenten Observationen zu subtilem, oft übersehenem Alltagsrassismus, der sich nicht selten ausgerechnet unter dem Deckmantel vermeintlicher Solidarität mit Betroffenen abspielt. Zusammengehalten wird der verschachtelte Genre-Wirrwarr letzten Endes von einer hinreißenden Darstellerriege, der neben den jugendlichen Newcomern auch vertraute Namen angehören. So legen zum Beispiel die frisch oscarprämierten "Everything Everywhere All at Once"-Stars Michelle Yeoh und Ke Huy Quan denkwürdige Kurzauftritte hin. Wen wundert's noch: Hongkong-Action und Humanismus ergänzen sich wohl einfach gut.
Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆ (4/5)
"American Born Chinese" ist auf Disney+ zu sehen.
Christian Pogatetz