Würde man die Hürden sichtbar machen, dann könnte Lidia Poët (Matilda De Angelis) keine zwei Meter weit gehen, ohne gegen eine Wand zu knallen. Die Stolpersteine sind recht eindeutig: Perrero, Italien, 1881, Poët hat als erste Frau des Landes ein Studium der Rechtswissenschaften studiert und beantragt die Aufnahme in die Staats- und Rechtsanwaltskammer. Ein Novum, aber auch ein Ärgernis für die altehrwürdige Herrenriege: Drei Monate später fliegt sie aus der Kammer raus. Ach ja, die Geschichte ist Fakt, nicht Fiktion. Lidia Poët gilt in Italien als historisches Role Model im Kampf um Frauenrechte.
Netflix hat das Leben Poëts in ein Entertainmentformat gegossen, das man sich von den beiden erfolgreichen Enola-Holmes-Filmen mit Millie Bobby Brown abgeschaut hat. Seit letzter Woche ist die sechsteilige Serie "Das Gesetz nach Lidia Poët" abrufbar, im globalen Ranking der Nicht-Englischen-Serien liegt sie bereits auf Platz drei, in Österreich ist sie die derzeit beliebteste Serie. Um die historische Figur und ihren Kampf, als Rechtsanwältin arbeiten zu können, haben die Serienmacher ein rasantes und kurzweiliges Paket aus Crime, Liebeswirren und Selbstermächtigung im eleganten Gewand des ausgehenden 19. Jahrhunderts geschnürt.
Selbstermächtigung ist jenes Zauberwort, das hier geschickt als Bindeglied vom Gestern ins Heute fungiert – eines, mit dem man gesellschaftspolitische Hürden quasi im Vorbeigehen neutralisiert. Tatsächlich musste die echte Lidia Poët fast 40 Jahre warten, um als Anwältin arbeiten zu können.
Schon bei den Serienumsetzungen von Sisi, sowohl bei RTL als auch Netflix, wurde auf diese Heroisierung mit Pippi-Langstrumpf-Attitüde und einem Hauch von Eskapismus zurückgegriffen, und der Erfolg gibt den Formaten recht. Die Serienadaptionen weiblicher Biografien stehen in den letzten Jahren bei den Streamern hoch im Kurs, vor allem Netflix fährt gut damit.
Der von Maria Schrader umgesetzte Erfolgsroman "Unorthodox" von Deborah Feldman wurde vielfach ausgezeichnet. Die Miniserie, die den Ausbruch einer ultraorthodoxen Jüdin aus einer arrangierten Ehe zeigt, geht einen anderen Weg: weniger Romantik, mehr Realitätssinn und schonungsloser Ausleuchtung eines Milieus.
Gleiches gilt für "Maid" (Netflix), auf der Biografie von Stephanie Land basierend. Die Serie zeichnet den Alltag einer jungen Mutter nach, die sich und ihr Kind mit Putzjobs durchbringt und gegen ihren gewalttätigen Freund um das Sorgerecht kämpft. Auch hier werden gesellschaftspolitische Hürden intensiv ausgeleuchtet und sichtbar gemacht: Bildungsfernsehen quasi.
Bewertung: ★ ★ ★ ☆ ☆ (3/5)
"Das Gesetz nach Lidia Poët" ist auf Netflix zu sehen.