Die hässlichen Dinge, die du für dich behältst, die werden zu Hunden“, wird Tante Vittoria (Valeria Golino) irgendwann sagen. Hartnäckige Hunde, die einen nachts in deinen Träumen verfolgen. Auf Vittoria trifft das nicht zu, sie beherzigt ihren Ratschlag sieben Tage die Woche. Sie teilt aus, bevor sie einstecken muss. Sie sagt, was Sache ist. Also für sie Sache ist. Deshalb heißt es in der Familie auch: „Tante Vittoria, sie ist nicht vorzeigbar. Tante Vittoria, sie ist ein Monster.“

Die 16-jährige Giovanna (Giordana Marengo) hat ihre Tante Vittoria nie kennengelernt, sie ist die Hauptfigur einer Erzählung, die ihre Eltern fein säuberlich von oben herabschauend ausschmücken: vom feinen Stadtviertel Vomero hinab auf das schmutzige, derbe Neapel. Dort, wo auch Vittoria wohnt. Als ihr Vater der rebellierenden Pubertierenden eine Ähnlichkeit zu Vittoria attestiert, will Giovanna sie kennenlernen. Und das tut sie. Und das hat Folgen.

Die sechsteilige Serie „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ („La vita bugiarda degli adulti“ – unter diesem Titel auf Netflix zu finden!) basiert auf dem gleichnamigen Roman von Elena Ferrante und mag auf den ersten Blick eine Coming-of-Age-Serie sein. Der rote Faden ist aber vielmehr eine Milieustudie, die den vielfach traumatischen Bruch zwischen Klassenaufsteigern und ihrer Herkunft offenbart. Die viel belesene Giovanna ohne Lebenserfahrung trifft auf eine Vittoria, die einen schillernden Pulk an Erfahrungen mit sich herumschleppt. Daraus ergibt sich im authentischen Setting der 1990er-Jahre ein formidabler Paartanz aus Anziehung und Abstoßung.

Die beiden Hauptdarstellerinnen Valeria Golino und Giordana Marengo sind ein Glücksfall für die Produktion, die den Lebenshunger aller Protagonisten und die Konsequenzen daraus durchdekliniert. Wo Narben versteckt, aber auch ganz offen zur Schau getragen werden. Nicht zu vergessen: Neapel, so abgründig, so tiefgründig!

Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆ (4/5)

"Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ ist auf Netflix zu sehen.