Soll ich ein bisschen langsamer machen?“ Die Frage der sich rührend kümmernden Krankenschwester ist ohnehin nur eine rhetorische. Ihre Patientin Lynsey hat das Gefühl von Raum und Zeit verloren. Körperlich ein Wrack, will man sich das Innere gleich gar nicht vorstellen.
Lynsey (Jennifer Lawrence) war im Einsatz in Afghanistan, ihr Konvoi flog in die Luft, sie landete mit einem massiven Schädel-Hirn-Trauma auf dem Boden der Tatsachen. Die Realität hat sie wieder und die schaut nach einer zumindest äußerlichen Genesung nicht gerade rosig aus: Rückkehr in ihre Heimatstadt New Orleans, ins Haus ihrer Mutter, das Verhältnis ist und war schwierig. Ihr Afghanistan-Trauma schafft sie wieder dorthin, wo sie einst ausgebrach. Der Kreis schließt sich, das Trauma nicht.

Es ist die Zufallsbegegnung mit dem Mechaniker James (Brian Tyree Henry), die eine Art Gamechanger werden wird – für sie und ihn. Eine freundschaftliche Annäherung zweier heftig Verwundeter: James hat bei einem Autounfall nicht nur sein Bein, sondern auch einen geliebten Menschen verloren. Beide funktionieren mehr schlecht als recht im Alltag, taumeln, reißen sich zusammen. Ihre Aufeinandertreffen sind alles andere als Therapiesitzungen, sie sind ein sanftes, langsames Aufkratzen von verschüttetem Schmerz, der sich in ihnen festgekrallt hat.



Eineinhalb Stunden dauert der Filmerstling von Regisseurin Lila Neugebauer, der im September beim Filmfestival in Toronto seine Premiere feierte. Es ist die langsame Erzählung über zwei im doppelten Sinn Schmerzpatienten, physisch wie psychisch, die einen Hauch von Ausblick davon bekommen, dass man irgendwann doch noch einmal in jene Spur zurückfindet, aus der einen das Leben innerhalb weniger Sekunden katapultiert hat. Sekunden, deren Folgewirkung das Leben durchziehen werden.


Es ist die Dynamik zwischen Jennifer Lawrence und Brian Tyree Henry, die den Film zum intensiven, freundschaftlichen Paarlauf werden lässt. Ein emotionales Sich-Öffnen, das oft berührend holprig, bruchstückhaft die innere Versehrtheit nach außen transportiert. Wenngleich der Film vor allem gegen Ende hin zu sehr versucht, das Spröde, das Rissige, das Zerrissene im Sinne des Versöhnlichen zu kitten. Für die 32-Jährige ist „Causeway“ ihr Comeback nach der Babypause und ein bewusster Gegenpol zu den Hollywoodblockbustern, die sie zuvor gedreht hat. Zudem ist sie mit ihrer Produktionsfirma „Excellent Cadaver“ am Film beteiligt.

Nicht nur als Produzentin ist Lawrence mit dem Film verbunden, sondern auch emotional: „Ich identifiziere mich mit diesem Gefühl, wenn man versucht, sein Zuhause zu finden, wenn man einen Sinn haben will. Ich bin von zu Hause weggegangen, als ich 14 war. Meine Beziehung zu meinem Zuhause war schon immer kompliziert“, sagte Lawrence nach der Weltpremiere auf der Bühne vor dem Publikum. Und brach in Tränen aus: „Das hat mich sehr bewegt.“

Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆ (4/5)

„Causeway“ ist auf Apple TV+ zu sehen.