"Zum Andenken an meinen Bruder bitte ich alle Ruhe zu bewahren“. Sprach's und der erste Molotowcocktail fliegt schon. Ein Vorort von Paris, ein 13-Jähriger wird totgeprügelt, waren es Polizisten oder doch als solche verkleidete Rechtsradikale? Für seinen Bruder Karim ist das zweitrangig, er verwandelt mit anderen Jugendlichen die Hochhaussiedlung Athena in eine Festung und verlangt die Namen der Polizisten. Sein Bruder Abdel, ein Soldat, versucht zu kalmieren, zu beruhigen, hilft beim Evakuieren der Hochhäuser. Ringsum marschiert die Polizei auf, die Jugendlichen magazinieren sich mit Pyrotechnik auf. Mittendrin versucht der dritte Bruder, Mokhtar, noch seine Drogen aus der Siedlung zu schleusen.
Regisseur Romain Gavras, Sohn von Regisseur Constantin Costa-Gavras, folgt in "Athena" (Netflix) Karim, Abdel und Mokhtar, die Brüder des Opfers, durch den Wahnsinn, während die Festung von der Polizei erstürmt wird. Oder besser gesagt: Während sie versucht, die Festung zu stürmen. Empfangen werden sie von einem Pyrotechnik-Gewitter, in dem man als Zuschauer mittendrin steckt. Wie man überhaupt durchgehend mit den Protagonisten in einem Affentempo durch den Wahnsinn aus Rauch, Schreien und Pyrotechnik unterwegs ist. Und man ist nah dran an ihnen, sehr nah, um die Emotionen der drei Brüder, und eines Polizisten hautnah wie in einem Kammerspiel mitzuerleben. Karim, entschlossen, unbeirrbar. Abdel, verzweifelt, hin- und hergerissen, Mokhtar hochaggressiv. Auf der Gegenseite der junge Polizist: Angsterfüllt, aber Teil einer dynamischen Gruppe, die auf ihn abfärbt.
In Summe eine mehr als sehenswerte, emotionale Achterbahnfahrt durch den Kugel- und Pyrohagel. Ein Eintauchen in einen Mikrokosmos und eine Familiengeschichte, die zwischen Entschlossenheit und Verzweiflung oszilliert.
Bewertung: ★ ★ ★ ★ ☆ (4/5)