Ideen-Orgie in der Welt der Wünsche (Daniel Hadler)

Eine Zumutung. Was David Schalko in der Sky-Serie „Ich und die anderen“ an Ebenen und Ideen verschränkt, widerspricht jeder algorithmisch getrimmten Netflix-Logik. Nicht einmal die gewohnte Katharsis gönnt der „M“-Regisseur dem Publikum. Die neue Serie ist nicht leicht konsumierbar, in seinem übermütigen intellektuellen Übergewicht aber eine Reise, die sich als lohnenswert erweist.

Das „Ich“ steht für Tristan (fabelhaft gespielt von Tom Schilling), dessen Dasein in jeder Folge einer anderen Prämisse unterworfen ist. Die erste lautet: „Ich will, dass ihr mich alle kennt.“ Man braucht ein großes Ego und/oder eine gehörige Portion Naivität, um sich dies zu wünschen. Wer allerdings glaubt, die Prämisse „Ich will, dass ihr mich alle liebt“ zu mehr Glückseligkeit führt, der wird genussvoll eines Besseren belehrt. „Die anderen“ sind die Statisten in Tristans Welt, die sich konsequenten den Wünschen der Hauptfigur unterwerfen. Einziger sicherer Hafen in diesem Universum ist ein gottähnlicher Taxifahrer.

In „Braunschlag“ war es die österreichische Provinz, die Schalko genussvoll auseinandernahm, in „Ich und die anderen“ widmet er sich dem jungen Urbanismus, wie er in jeder x-beliebigen westlichen Großstadt zu beobachten ist. Schalko inszenierte eine orgiastische Dekonstruktion von Begriffen wie Liebe, aber auch von aktuellen Fragen selbstbestimmten Überwachung. Auf diesem Serien-Trip nimmt er zeitgenössische Themen auf – von der Sexualisierung des Alltags bis zur kollektiven Selbstüberwachung – und verliert sich in dieser Ideenwelt – eine Welt aus Behauptungen und Bedürfnissen, die das Zusammenleben konstruieren. Verändert man eine Prämisse in diesem Raum, verändert sich alles.

PS: Der Mut von Sky, dieses Projekt umzusetzen, ist bemerkenswert.

Vom Binge-Watching ist dringend abzuraten (Susanne Rakowitz)

Es ist der Goldstandard der Spielverderberei, wenn einem die Eltern leise in die Parade fahren, wenn es wieder einmal mit einem durchging: Pass nur auf, was du dir wünscht! Hört man auch oft in Märchen übrigens. „Ich und die Anderen“, das ist kein Märchen, aber vielleicht ein bisschen Alice im Wunderland, aber hinter den Spiegeln, gepaart mit ein bisschen Twin Peaks, wenn es gegen Ende hin schräg, schrullig und durchgeknallt wird.
Wir haben einen Protagonisten namens Tristan (fabelhaft: Tom Schilling), der durch sechs Folgen läuft und sechs einzelne Wünsche wie einen roten Faden hinter sich herschleift. Neuer Tag, neuer Wunsch, neue Wirklichkeit. Im ersten Teil etwa, wissen alle alles über ihn – die Auseinandersetzung mit einem Zustand, der in einer Lightversion dank Social Media schon heute auf viele Menschen zutrifft, ist als Gedankenspiel spannend und gruselig zugleich.

Freilich haben wir es hier nicht mit einer gleichförmigen Erzählung zu tun: David Schalko lässt in atemberaubender Geschwindigkeit Charaktere auf- und abtreten, wie eine Löwingerbühne, bei der die Schnelldurchlauftaste stecken geblieben ist. Sie alle führen Tristan vor Augen, welche Auswirkungen seine Wünsche haben: Du willst, dass dich alle lieben? Du willst, dass dir alle die Wahrheit sagen? Kein Problem! Ein sezierender Parforceritt durch den Hyperindividualismus der heutigen Zeit, der sich nicht zuletzt auf Social Media abbildet. Die Dialoge geschliffen scharf, zynisch und gespickt mit einer Unzahl neu interpretierter Kalendersprüche: „Hör auf, Fragen zu stellen, dann kommen auch die Antworten“.

Philosoph Paul Watzlawick hätte seine Freude gehabt: Eine verdichtete Gemengelage der individuellen Wirklichkeiten. Vom Binge-Watchen ist dringend abzuraten, die Bergung der verstreuten Erkenntnisse pro Folge dauert nämlich länger.

"Ich und die Anderen" ab heute auf Sky