Totgeglaubte leben länger, heißt es. Dass eine Fernsehserie gleich mehrfach abgesetzt und wiederbelebt wird, gehört jedoch sicher nicht zur Norm. Die Zukunft ist ungewiss, davon kann David X. Cohen, Showrunner und Co-Erfinder von „Futurama“, ein Liedchen singen. „Unsere Serie hat alle möglichen Stufen moderner TV-Unterhaltung erlebt und überlebt: vom Kabelfernsehen über Direct-to-DVD hin zum kontemporären Streaming“, sagt er im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Dabei sollte der Erfolg eigentlich nicht verwundern, genoss man ja von der ersten Sekunde an prominente Rückendeckung. Kein Geringerer als Matt Groening - mit den „Simpsons“ die halbe Welt ins Gelbfieber gebracht - war es, unter dessen Auftrag man in den Spätneunzigern erstmals den satirischen Blick in die Glaskugel unternahm. Nach einem unfreiwilligen Schläfchen in der Kältekammer fand sich Pizzabote Philip J. Fry, oh Schreck, ganz plötzlich in der fernen Zukunft wieder. Genau gesagt im New York im Jahr 3000, wo einem im Minutentakt rülpsende Roboter, größenwahnsinnige Wissenschaftler oder außerirdische Krabben-Kreaturen begegnen.
Ein Mekka für Sci-Fi-Nerds und, man mag es kaum glauben, auch Freunde ganz realer Wissenschaften. Zwei Hüte, die David X. Cohen, studierter Master der Informatik, mit Stolz trägt. Innerhalb seines Autorenkollegiums landet man mit dieser Qualifikation aber „lediglich im Mittelfeld“, wie er grinsend erzählt. „Wir haben derzeit zwei Doktortitel im Team, einen in Mathematik, einen in Chemie.“ Nicht umsonst munkelt man also, die Serie wäre Heimat der überqualifiziertesten Schreiberlinge der Fernsehgeschichte. Mit den Gesetzen der Physik und Zahlenakrobatik wird scharfsinnig jongliert. Eine Tradition, mit der Cohen bereits liebäugelte, während er in jüngeren Jahren noch den „Simpsons“ als Autor diente. Wer erinnert sich an die Halloween-Episode, in der Homer in der dritten Dimension landet? Ein Geisteskind des „Futurama“-Visionärs, der als Easter-Eggs für Mathe-Schlaumeier im Hintergrund komplexe Formeln versteckte.
Das Fachwissen kommt den verkopften Sci-Fi-Konzepten natürlich zugute, doch auch zum Beispiel Popkultur-Knowhow ist gefragt. „Mir ist es wichtig, dass meine Autorinnen und Autoren alle möglichen Wissensgebiete abdecken, um unserer Welt Leben einzuhauchen. Das kann von Anwälten hin zu Comic-Nerds reichen.“, erklärt man das Geheimrezept. Es kann aber noch so gespickt sein mit geistreichen Plots und Anspielungen für Klugscheißer, am Ende steht und fällt gute Comedy mit der Treffsicherheit der Pointen. Und diese können schnell alt ausschauen. Der Science-Fiction-Aspekt hat geholfen, „am Nerv der Zeit zu bleiben“, meint Cohen. „Als wir zum Beispiel Handysucht und den damit verbundenen Verlust der Privatsphäre humoristisch analysierten, haben wir das mittels einer futuristischen Parallelversion des Geräts getan. So bleiben die Gags trotz aller Dinge zeitlos.“
Wenn man 25 Jahre lang in die Zukunft schaut, kann gelegentlich auch mal eine geschehene Prophezeiung eintreten. Die blutsverwandten „Simpsons“, die schon zum Milleniumswechsel eine Trump-Präsidentschaft prognostizierten, wissen das nur zu gut. Auch in „Futurama“ hat man in der Hinsicht bereits ein glückliches Händchen bewiesen. Leider ausgerechnet mit morbiden Vorhersagen, wie der Serienmacher verstört feststellen muss. „In der allerersten Folge haben wir über das Konzept einer „Suizidzelle“ gescherzt. Man wirft - wie bei einer Telefonzelle - eine Münze in den Schlitz und wählt statt einer Nummer den Freitod. In der Schweiz wurde vor ein paar Jahren tatsächlich eine solche Gerätschaft erbaut. Bedauerlicherweise wollte man uns damit assoziieren.“
Er leiht den Space-Chaoten seine Stimme
Eine Kultserie braucht natürlich auch einzigartige Figuren. Zum Glück gibt es die hier gleich im Überangebot: der rotzfreche Roboter Bender, die einäugige Haudraufmutantin Leela, der akribische Schiffsbürokrat Hermes, die verwöhnte Mars-Erbin Amy. Sie machen in etwa die Hälfte der Planet Express Crew aus, dem tollpatschigen Raumschiffkommando im Herzen der Serie. Hinter der anderen Hälfte der intergalaktischen Liefercrew steckt, zumindest im Originalton, ein einziger Mann. Billy West gilt als Meister seiner Zunft. Bugs Bunny, Popeye, Ren wie auch Stimpy: eine kleine Auswahl an Figuren, denen der heute 72-Jährige seine Stimme geliehen hat. Stimmvielfalt demonstriert der Virtuose am Mikrofon auch im Interview mit der Kleinen Zeitung: binnen Sekunden changiert er zwischen dem nasalen Duktus von Fry und einer Imitation von Richard Nixon. In der Serie sind die Überreste des einstigen Skandalpräsidenten, bei all der Idiotie eh schon klar, zum neuen Weltoberhaupt erkoren worden. Dass derselbe Mann auch hinter Krustendoktor Zoidberg und dem irren Professor Farnsworth steht, ist da kaum zu glauben.
„Es war eine Herausforderung, aber ich bin erfahren darin, unterschiedliche Stimmen auf einmal hinzubekommen. Das mache ich seit nun 40 Jahren und es ist so ziemlich das einzige, das ich beherrsche“, witzelt West im Gespräch. Einer der großen Reizpunkte war für ihn immer die sprunghafte Liebesbeziehung zwischen dem tollpatschigen Fry und der selbstbewussten Leela. „Viele Personen können sich mit dieser Dynamik identifizieren. Es hat etwas seifenoperneskes und geht ans Herz“. Der Mut, absurde Sci-Fi-Komik mit gefühlvoller Emotion zu kreuzen, hält „Futurama“ auch fast drei Dekaden später noch frisch . Das hat auch Schöpfer David X. Cohen begriffen: „Es sind vor allem die Tränen, die mich stolz machen. Wenn wir Zuschauern Tränen entlocken .“ Das können selbst „Die Simpsons“ nicht mehr von sich behaupten.
Christian Pogatetz