Der Zufall kann bekanntlich herrlich Regie führen: Am Donnerstag teilte Chanel mit, dass Kreativdirektorin Virginie Viard dem Luxusmodehaus den Rücken kehren wird. Die Nachfolgerin von Karl Lagerfeld war fast 30 Jahre bei Chanel beschäftigt, viele Jahre davon für Karl Lagerfeld. Nur einen Tag später ließ Disney+ den Sechsteiler „Becoming Karl Lagerfeld“ vom Stapel. Optimales Timing also. Karl Lagerfeld also, der schnell sprechende Vielsprecher, war im Grund genommen ein offenes Buch: Er konnte pointiert austeilen, vom erhöhten Standpunkt der Pariser Modekaste aus, die den Deutschen zwar lange Zeit duldete, aber ihn nie zu hundert Prozent als einen der ihren akzeptierte.
Ab den Nullerjahren wurde er mit seiner Inszenierung dann selbst zur Marke: beständig im Schwarz-Weiß-Look, Lederhandschuhe und gepudertes Haar. Eine Uniform, an der teflonartig alles abprallte und nichts durchgelassen hat. Die Serie „Becoming Karl Lagerfeld“ dockt lange davor an: 1972, der notorische Vielarbeiter Lagerfeld, entwirft zwar vor allem für Chloé, aber auch für alle anderen, „Haute Couture“ ist nicht mehr als ein Wunschtraum. „Du hast nicht einen Stil, du hat zwanzig“, wird ihm seine „Mutti“ hinknallen. Sein Hauptkonkurrent und ehemaliger Freund/Geliebter, Yves Saint Laurent, steht da schon längst am goldenen Podest, Marke „sensibles Genie und Melancholiker“, der in seinem Umfeld bei jedem den Beschützerinstinkt triggert. Der resolute Lagerfeld, der kann da nicht mithalten.
Daniel Brühl gelingt der Spagat, nicht nur in die Rolle zu schlüpfen, sondern die Person Karl Lagerfeld von dieser zugeschriebenen Rolle vielfach zu befreien. Die Zwischentöne herauszuarbeiten, die sonst vom Nimbus einer Marke überlagert werden. Dieser gschaftige Deutsche, der so sehr dem deutschen Klischee entspricht, dass es dem französischen Klischee ein Graus ist – ein Workaholic, für den savoir-vivre ein Fremdwort ist. Dessen Sinn für Sinnlichkeit in der Theorie zwar übermäßig ist, in der Praxis nicht an die Oberfläche darf. Das zeigt sich entlang der Beziehung zum jungen Dandy Jacques de Bascher (Théodore Pellerin), der seinerseits mit der scheinbaren Gefühlskälte Lagerfelds hadert und beständig über die Grenzen geht. Bekanntlich lässt sich Bascher auch mit Yves Saint Laurent ein.
Man kann den übermäßigen Fokus bemängeln, den diese Beziehung in der Serie einnimmt, und dafür die Mode in den Hintergrund gedrängt wird. Doch diese Liebe – Bascher wird bis zu seinem Tod 1989 an der Seite von Karl Lagerfeld bleiben – hat den Designer massiv geprägt. Wie sehr, das wird man hoffentlich in einer Fortsetzung sehen. Unwahrscheinlich ist das nicht, denn Disney reitet derzeit auf der Modewelle: Nach Balenciaga und Lagerfeld erscheint am 25. Juni die Dokumentation „Diane von Fürstenberg – Woman in Charge“.
Bewertung: ●●●●○
„Becoming Karl Lagerfeld“ ist auf Disney+ zu sehen.