Wenn bei Serien im Nachhall zu einzelnen Folgen selbst die kleinsten Kleinigkeiten bis hin zum Essen analysiert werden, dann kann man eher schon von Interesse sprechen. Und natürlich ist das jetzt ein wenig untertrieben, denn die Ende Februar angelaufene Serie „Shogun“ bekommt jetzt schon Attribute wie „Serie des Jahres“ umgehängt. Schon der Start verlief fulminant, die erste Folge wurde zum weltweite besten Start einer Serie auf Disney+, die nicht aus dem eigenen Mausimperium stammt.
Das Zeug zum Publikumsmagneten hatte die Serie schon bei der ersten Umsetzung: 1980 wurde Serie auf NBC zum ersten Mal ausgestrahlt, vier Jahre später dann im ORF – mit unglaublichen rund um die zwei Millionen Zuschauer pro Folge, wie der ORF auf Nachfrage mitteilt. Damals gab es noch FS 2 und statt der Zeit im Bild gab Richard Chamberlain um 19:30 Uhr den Engländer John Blackthorne, der mit einer Handvoll Überlebender im streng abgeschirmten Japan um 1600 landet und sich im Machtkampf einflussreicher Samurai wiederfindet. Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Roman von James Clavell, dessen Tochter Michaela übrigens eine der Produzentinnen der Neuauflage ist.
Cosmo Jarvis schlüpft in der aktuellen Serie, die heute mit der fünften Folge ins Halbfinale geht, in die Rolle des britischen Navigators, der sich auch mit den Portugiesen anlegt. Letztere waren damals das einzige europäisches Land, das das Vertrauen der Japaner genoss. Blackthorne strandet also nach einem Unwetter an der japanischen Küste, wird festgenommen und es folgt „Lost in Translation“. Um diesen Effekt auch in der Serie nachhallen zu lassen, wurden die japanischen Passagen nicht transkribiert, sondern nur untertitelt, was nicht bei allen Nutzerinnen und Nutzern auf Begeisterung stößt. Die Kommentare auf der Instagram-Seite von Disney+ sind nicht unamüsant: „Ich kaufe mir jetzt das Buch. Das ist komplett auf Deutsch übersetzt und hat es trotzdem zum Bestseller geschafft.“ Autsch. Und doch ist diese Entscheidung ein Gewinn für die Serie, weil es den akustischen Rahmen einer Welt bildet, deren Gesellschaft von der Trias Krieger, Ehre und Macht wie ein ultrabrutales Korsett zusammengeschnürt wird. Und es ist nicht nur die Angst, die hier regiert, sondern ein System des Dienens, des Gehorchens und der Treue, das hier zum Motor wird – all das streuen die Serienmacher Rachel Kondo und Justin Marks zurückhaltend dosiert ein, denn alles bleibt hier im Rahmen, nein, muss im Rahmen bleiben.
Die hohe Kunst der japanischen Ästhetik, die absolute Reduktion, das feine Spiel der Gegensätze – wie etwa Licht und Schatten – sie sind der Serie wunderbar eingeschrieben. Wenn einer von Blackthornes Mitstreitern bei lebendigem Leib gekocht wird, dann ist selbst das nicht ohne philosophischen Hintergrund zu sehen: „Mein Herr ist besessen vom Augenblick des Todes“, wie der Diener lapidar meint. Seppuku, der rituelle Selbstmord der Samurai, wird anstandslos und ohne Murren ausgeführt, das eigene Kind gleich mitgenommen, denn die vergleichsweise lächerliche Verfehlung erfordert auch das Auslöschen der männlichen Erben. „Ihr könnt ihr Spiel nicht spielen, ihre Regeln sind zu kryptisch, ihre Herzen zu verschlossen“, sagt ein portugiesischer Priester zu Blackthorne. Und doch wird der Brite sukzessive vom Opfer zum Akteur, denn es gibt eine Sprache, die neben der Liebe ebenso universell ist: die Kunst des Krieges.
Und bei all der Dramatik, dem bedingungslosen Festhalten an der Pflicht, schimmern sie manchmal ganz zart durch, die Emotionen, die Wünsche, das Begehren, wie wenn Licht durch die filigranen japanischen Schiebetüren scheint. Ein Wechselspiel der Extraklasse.
Bewertung: ●●●●●
„Shogun“ ist auf Disney+ zu sehen.