Mit alten Familientraditionen sollte man bekanntlich nicht brechen. Nach dem Tod seines adeligen Papas ist Hitzkopf Freddy (Daniel Ings) also nicht grundlos außer sich: die ihm zugesprochene Primogenitur, das aufs Alte Testament zurückgehende Erbrecht des Erstgeborenen, wurde ihm verweigert. Stattdessen wird seinem jüngeren Bruder Eddie (Theo James: charismatisch), eben erst vom Armeedienst zurückgekehrt, das komplette Familienerbe vermacht. Das inkludiert, neben dem prunkvollen Luxusanwesen im englischen Halstead und dem Adelstitel, eine – wie der überforderte Herzogssprössling bald herausfinden sollte – unterirdisch gebaute Cannabis-Farm.
Durch die illegale Weitervermietung seiner Räumlichkeiten hatte sich Vater Archibald ein Zusatzvermögen verdient und seiner Familie im lokalen Drogenhandel ein zweites Standbein beschert. Die Kontakte zur Unterwelt kommen Eddie gerade gelegen, denn sein älterer Bruder, dem die Erbfolge womöglich seiner Einfältigkeit wegen nicht gestattet wurde, steckt tief in der Klemme. Freddy hat es sich mit einem gefährlichen Koksdealer verscherzt. Sollte er bis zum Ende der Woche nicht eine Millionensumme auftreiben können, wird er dran glauben müssen. Die Zeit tickt, das ruchlose Gangstersyndikat aus Liverpool kennt kein Erbarmen. Da findet auch mal ein Aristokrat Gefallen am kriminellen Geschehen.
Wem diese Prämisse vertraut vorkommt, der liegt nicht falsch: bereits 2019 ließ Regisseur Guy Ritchie mit der Actionkomödie „The Gentlemen“ ein prominent besetztes Marihuana-Imperium aufbauen. Ritchie, für seine hyperstilisierten und schnell geschnittenen Gangsterfilmchen („Snatch“, „Bube, Dame, König, Gras“) gleichermaßen umjubelt wie verschrien, setzt das Erbe seines Erfolgsstreifens nun als Netflix-Serie fort. Von den namhaften Schauspielern aus der Erstversion, darunter: Matthew McConaughey, Hugh Grant, Charlie Hunnam, ist niemand verblieben. „The Gentlemen“, die Serie, soll zwar im selben Universum spielen, ist aber als Spin-Off gedacht und keine direkte Weiterführung. Erfrischend ist immerhin, dass man gänzlich ohne Referenzen an den Vorgänger auskommt.
Geisteskind seines Erschaffers
Die Rahmenhandlung mag verblüffend ähnlich sein, doch es gelingt den acht bisher veröffentlichten Folgen auf eigenen Beinen zu stehen. Und das verdankt man einer illustren Riege an Haupt- und Nebenfiguren, umgesetzt von großartigen Darstellerinnen und Darstellern, darunter „Skins“-Teeniestar Kaya Scadelorio, die als Grasbaronin brilliert. Authentisch eingegliedert in eine Welt, in der vornehme („posh“) Briten und großgoscherte Verbrecherbanden gemeinsame Sache machen.
Vor allem ist „The Gentlemen“ aber durch und durch ein Geisteskind seines Erschaffers. Kultfilmemacher Ritchie mag nur die ersten zwei Folgen inszeniert haben, aber sein unverkennbarer Stil zieht sich durch alle jeweils einstündigen Episoden. Ein schwarzhumoriges Zusammenspiel diverser britischer Akzente und Befindlichkeiten, getunkt in ein Fass voll Testosteron. In gewohnter Ritchie-Manier geht aber auch seinem neuesten Spaß nach einer Weile die Puste aus. Running Gags werden so lange totgetreten, bis sie an Wirkung verlieren, Nebenhandlungsstränge verlaufen im Sand, pseudophilosophische Weisheiten nerven. Die These, auf die man eigentlich zusteuert, wird schnell klar: Das Gangsterleben ist kein leichtes.
Bewertung: ●●●○○
Christian Pogatetz