Mick Jagger ist das Hirn. Keith Richards ist das Herz. Aber Charlie Watts war vielleicht der wichtigste Teil in diesem organischen Gebilde namens Rolling Stones. Denn er, der Stoiker hinter dem Schlagzeug, war das Rückgrat der Band. Ohne ihn wäre wohl alles in sich zusammengefallen – und das tut es jetzt vielleicht auch. Denn Charlie Watts ist tot, gestorben im Alter von 80 Jahren, das teilte ein Sprecher der Gruppe gestern mit: „Mit großer Traurigkeit geben wir den Tod unseres geliebten Charlie Watts bekannt. Er ist heute in einem Londoner Krankenhaus im Kreise seiner Familie friedlich gestorben.“ Sein Tod könnte auch das Ende der am längsten „dienenden“ Rockband der Welt bedeuten. Denn die Stones ohne Watts sind einfach unvorstellbar.
Charlie Watts, geboren am 2. Juni 1941, war zwar streng genommen kein Gründungsmitglied, stieß aber bereits 1963 zur Band, die damals aus Mick Jagger, Keith Richards, Brian Jones, Dick Taylor und Ian Stewart bestand. Am 2. Jänner 1963 traten die Stones erstmals mit Watts am Schlagzeug auf, der zuvor bei Alexis Korners Blues Incorporated getrommelt hatte. Aufgrund seines trockenen, direkten Stils wurde er zum rhythmischen Fundament der Band – und blieb es bis zuletzt. Sein konzises Spiel hat dem oft abenteuerlichen Gerumpel der anderen Mitspieler Halt und Sicherheit gegeben.
Doch nicht nur der Musiker Watts war für die Band von enormer Wichtigkeit. In den 1970er- und 1980er-Jahren kämpfte er noch mit Alkoholproblemen, doch bald schon wurde Watts zum ruhenden Pol im turbulenten, toxischen Rock-‘n’-Roll-Zirkus. Charlie war ein Sir, wie er im Buche steht, ohne dass er – im Gegensatz zu Jagger – jemals dazu ernannt worden wäre. Er war ein Gentleman, der die Eskapaden der anderen Lausbuben mit einem milden Lächeln begleitet hat. Er konnte aber auch der strenge Großvater sein, der seine lärmenden und pöbelnden „Enkelkinder“ zur Räson rief. Am Ende war wieder alles gut. Die Rasselbande hatte sich beruhigt, Watts schlurfte in den Hintergrund, setzte sich ans Schlagzeug, grinste kurz ins Publikum und gab dann in Zenmanier den Rhythmus vor. Präzise wie eine Maschine, ohne je ein kaltherziger Techniker gewesen zu sein.
Seine Liebe gehörte dem Jazz
Er spielte in der größten Rockband der Welt, kam aber von einem anderen musikalischen Stern: vom Jazz. Bereits im Alter von zehn Jahren entdeckte er seine Leidenschaft für Charlie Parker und später John Coltrane, aus einem alten Banjo baute er sich seine erste Trommel. Zu Weihnachten 1955, damals 14 Jahre alt, bekam er von seinen Eltern das erste Schlagzeug geschenkt. Der Liebe zum Jazz blieb er trotz seiner Hauptbeschäftigung bei den Stones treu. Er gründete eine Big Band, seit 2010 war Watts immer wieder mit der Gruppe „The ABC&D of Boogie Woogie“ auf Tour; einem Projekt, an dem auch die Pianisten Axel Zwingenberger und Ben Waters beteiligt waren.
Eine Legende der Coolness
Treue, Verlässlichkeit, Loyalität und Beständigkeit zeichneten aber nicht nur den Musiker Watts aus. Seit 1964 war er mit seiner Frau Shirley verheiratet, ihre Tochter kam 1968 auf die Welt. Massive gesundheitliche Probleme tauchten erstmals 2004 auf, Kehlkopfkrebs wurde diagnostiziert, doch Watts erholte sich wieder und rollte mit den Stones weiter durch die Musikgeschichte. Doch Anfang August dieses Jahres musste er seine Teilnahme an einer USA-Tournee wegen „einer medizinischen Behandlung“ absagen. Diese ist zwar laut einem Sprecher „komplett erfolgreich“ verlaufen, weitere medizinische Hintergründe wurden aber nicht bekannt gegeben.
Charlie Watts war eine Legende der Coolness, ein Mann mit Stil und Grandezza auf allen Ebenen. Öfter schon dachte er ans Aufhören. Aber solange die anderen Buben sich weiter auf der Bühne austoben wollten, kam das nicht infrage für ihn. Treue und Verlässlichkeit bis zuletzt. Und jetzt? „Charlie ist unser Motor“, sagte einmal sein Kumpel Ron Wood. „Und ohne unseren Motor fahren wir nirgendwohin.“ Nicht nur Charlie Watts ist tot.