Ein neuer Anfang kann aus einer neuen Liebe und Beziehung resultieren, aus einem Wohnort- und Heimatwechsel, aus der gewonnen Kraft nach einer Krise oder Krankheit, einen Jobwechsel bedeutet es bei Andreas Gabalier jedenfalls nicht. Er will der Volks-Rock-’n’-Roller bleiben, sich dabei aber komplexer, gereifter, hintergründiger und verspielter zeigen. Er selbst nennt es "Gabalier 2.0". Die Fans kennen freilich schon eine Handvoll Titel des nunmehr siebenten (in Graz, Berlin und Nashville aufgenommenen) Studioalbums mit zwölf Tracks: "Verdammt lang her" (hier nun in einer Akustik-Version), den in der Pandemie entstandenen Titel "Neuer Wind" über die Entschleunigung und Wertveränderung durch die Lockdowns sowie "Liebeleben" vom Sommer 2021, Gabaliers Antwort auf homophobe Vorwürfe. Letztere in überarbeiteten Album-Versionen.
Wobei alte Muster auf "Ein neuer Anfang" freilich nicht fehlen ("Bügel dein Dirndl gscheit auf"): Botschaft und Sound bleiben ein rotes Tuch für seine Gegner, durch "Snapchat und TikTok" in den Strophen weiß man, dass es ein neu geschriebener Stadion- und Oktoberfest-Heuler ist.
Die beiden Coverversionen passen zu ihm: "The Ram Sam Song", ein marokkanisches Kinderlied, mit dem die Mini-Gabaliers auch aufgrund möglicher Choreografien Spaß haben werden, sowie "Mariandl": Nichts für Puristen von Maria Andergast und Hans Lang, aber der Steirer macht den 1947 entstandenen Schlager, der zum Volkslied wurde, durchaus zu einer authentischen eigenen Version.
Die Entwicklung des 37-Jährigen manifestiert sich in zwei Nummern: In "Immer wieder", laut eigener Aussage von Udo Jürgens durch dessen unverdrossene Zuversicht trotz kritischer Töne inspiriert, ist Gabalier gesanglich lässig wie selten: Ohne Druck gleitet er musikalisch durch einen Titel, den er seinem Jugendidol Udo (und wir erinnern uns gerne: stets ein Sprachrohr für Toleranz) wohl gerne bei einer gemeinsamen TV-Gala vorgespielt hätte. In "I find a Ruh" geht er zu seinen Anfängen zurück: Er strebt die Verbindung von musikalischer Seligkeit, die man in den USA als handgemachten Country bezeichnen würde, mit einem ins Innere blickenden Text an, der zu singen leichter ist, als ihn von Angesicht zu Angesicht auszusprechen.
Ein emotionaler Höhepunkt bei den kommenden Konzerten (u. a. Mörbisch am 29. Juli und das Mega-Event in München am 6. August) wird zweifellos "Jede Zeit und jeder Held hat seine Wunden" werden, wo er nicht nur durch die formidablen Chöre die Atmosphäre von US-Rockballaden der 1980er-Jahre à la Foreigner einzufangen versucht. Man sieht dabei jetzt schon förmlich das Schwenken der Feuerzeuge bzw. erleuchteten Handys von links nach rechts und rechts nach links.
"Südtirol" hingegen dümpelt mit Gähn-Faktor vor sich hin, nur nicht bei der Tourismus-Werbung der nördlichsten Provinz Italiens. Immerhin singt er darin von den "schönsten Mädchen", und nicht mehr vom "Mäderl mit ihre knackig siaßn Wadln und rot lackierte Zecherl" (wie in "Fesche Madln" 2012), auf dem achten Album werden es womöglich schon Frauen sein.
Diesmal huldigt er aber auch noch einmal sich selbst und seinem (auch von Kritikern anzuerkennenden sensationellen) Erfolg – in dem als Gabalier-Rockoper inszenierten Finale "Die One-Man-Show". "Born and raised natural", textet er. Und resümiert: "Was i kann und wer i bin, überdauert mi. A Liad is niemals still." Er wird abseits der Lieder auch noch lange immer wieder laut sein, mitunter aus einer Mischung aus Stolz und Verteidigung heraus, und wohl weiterhin polarisieren.
Andreas Gabalier: "Ein neuer Anfang". Erschienen bei Electrola/Universal.