Das wahre Leben gedeiht in den Höhen und Niederungen. Dazwischen ist es schwer auszumachen. Ein Lied davon kann der belgische Elektro-Chansonnier Stromae singen. Neun Jahre verschwand der gebürtige Paul van Haver von der Bildfläche.
Von Angstzuständen nach einem kometenhaften Aufstieg („Alors On Danse“) und der Unvereinbarkeit von Alltag und Künstlertum geplagt, verließ das gefeierte Musik-Chamäleon das Pop-Parkett. Nahm die Rolle des Vaters und Ehemanns an. Im Jänner trat der 37-Jährige plötzlich wieder in Erscheinung. Wirkungsmächtiger denn je.
In den französischen Abendnachrichten stellte er sich einem ersten Interview. Auf die Frage nach seiner bipolaren Persönlichkeit antwortete Stromae nicht direkt, sondern stimmte vom Sprecherpult aus ein neues Lied an. Kein einziges Mal wendete der Sänger den Blick von der Kamera ab, „sprach“ als Nachrichtensprecher. Sang über seine Depressionen. Aber vor allem darüber, dass ein Himmel in dieser Hölle existieren kann.
Als Clown hat sich Stromae einst selbst beschrieben. Seine sorglos klingenden Chansons mit dramatischen Text-Episoden seien simple Spielereien, nicht mehr. Was für eine Untertreibung! Vielmehr ist der Belgier ein Seiltänzer, der das Gleichgewicht zwischen Abgrund und unbeschwertem Wagemut hält. Seine neue CD „Multitude“, ein Meisterwerk, das nie überfordert, treibt das Spiel auf die Spitze.Inspiriert von bulgarischer Folklore, kubanischen Beats, afrikanischen Instrumenten und mit Hilfe des Belgischen Nationalorchesters entführt er in ein Reich der Außenseiter. Singt von stolzen Hurensöhnen und fleißigen Hungerlöhnern. Dazu kann man tanzen oder sinnieren. Vor allem aber staunen.