Ich verdiene es, ein Leben zu haben. Alles, was ich will, ist über mein Geld verfügen und der Welt meine Geschichte erzählen. Ich will gehört werden.“ Dass eine seit ihrer Kindheit populäre Künstlerin, die viele Jahre lang permanent in der Öffentlichkeit stand, die mehr als 100 Millionen Alben verkauft und ein riesiges Vermögen erarbeitet hat, Schwierigkeiten hat, sich als Person Gehör zu verschaffen, dürfte eine Besonderheit der Popgeschichte sein. „Pop-Prinzessin“ und ehemaliges Teen-Idol Britney Spears (39) hatte sich in der Vorwoche mit solch dramatischen Worten an die Justiz gewendet. Die Sängerin versucht seit Langem gegen die Vormundschaft ihres Vaters Jamie (68) gerichtlich anzugehen. Diese hatte ihr Vater 2008, nach einigen Nervenzusammenbrüchen seiner Tochter zugesprochen erhalten. Die Vormundschaft ging zwischenzeitlich auch an die Betreuerin Jodi Montgomery über, wobei Jamie Spears weiterhin die Verwaltung des riesigen Vermögens oblag.
Britney Spears nennt diese jahrelange Fremdbestimmung einen „Missbrauch“, sie sei gegen ihren Willen zur Arbeit gezwungen worden, ihr Vater genieße es geradezu, die Kontrolle über sie zu haben. Auch die Beziehung zu Montomgery sei von Streit – etwa um ihre medizinische Betreuung – geprägt. Vor Gericht fand ihr Appell kein Gehör. Erst letzten Donnerstag hat es den Antrag der Künstlerin, die sich selbst als eine Art Sklavin betrachtet, abgelehnt.
Das Familiendrama der Spears’ beherrscht seit Jahren die Klatschspalten und auch mehrere Dokumentationen beschäftigen sich mit der Causa. Auf der einen Seite steht eine bereits in jüngsten Jahren durch die Öffentlichkeit gezerrte Künstlerin, die zumindest eine Zeit lang seelisch sehr labil war, die aber trotz dieser Probleme die Kassen weiter klingeln ließ und trotz angeblicher Unmündigkeit weiter arbeitete. Auf der anderen Seite ein aus bescheidenen Verhältnissen stammender Vater, lange erfolglos und mit Suchtproblemen, der behauptet, die Tochter und ihre Millionen schützen zu wollen und sie vor dem totalen Absturz gerettet zu haben.
Vor einiger Zeit hat die Familienaffäre der Spears aber eine gesellschaftspolitische Dimension erhalten. Die Bewegung „Free Britney“ machte aus der Prinzessin von früher zum Symbol für eine Frau, der die Selbstbestimmung verwehrt wird. Spears’ Stellungnahme hat das noch einmal verschärft. Sie gab an, dass es ihr untersagt worden wäre, ihre Verhütungsvorrichtung entfernen zu lassen: „Meine Vormünder lassen mich nicht zum Arzt gehen, um sie herauszunehmen.“ Dabei wünscht sich Britney Spears, Mutter zweier Söhne im Teenager-Alter, noch eine Familie mit ihrem Freund Sam zu gründen. Ob ihr Vorwurf stimmt oder nicht – er weckt naturgemäß äußerst unangenehme Erinnerungen an die Praxis der erzwungenen Sterilisation, die auch in den USA lange gang und gäbe war: Arme, schwarze Frauen und Häftlinge wurden auf diese Weise gepeinigt, später auch behinderte Frauen.
Menschenrechtsexpertinnen und -experten erkennen deshalb einige Parallelen zum Umgang mit behinderten Menschen, die in vielen Ländern immer noch solchen Maßnahmen unterzogen werden.
Während der Vater Jamie die Free-Britney-Bewegung als eine Gruppe von Verschwörungstheoretikern bezeichnet hat, findet diese immer mehr prominente Unterstützer: unter anderem Mariah Carey, Miley Cyrus, Paris Hilton, Cher, Iggy Azalea, Justin Timberlake und Christina Aguilera. Dass mit der Ausnahme von Ex-Freund Justin Timberlake nur Frauen zu den prominentesten Unterstützern gehörten, zeigt nochmals deutlich, wie der Vormundschaftsstreit nicht bloß Vormundschaftsstreit ist, sondern einen sedimentierten gesellschaftlichen Konflikt aufwühlt. Spears fungierte jahrelang als Identifikationsfigur für junge Mädchen, ihr Erwachsenenwerden spiegelte sich tausendfach in Jugendzimmern rund um die Welt und nun wird gerade sie – falls ihre Darstellung korrekt ist – offenbar entmündigt, ihrer Rechte beraubt und darf nicht einmal über ihren Körper entscheiden. Dass dies Zündstoff bietet und weit über den konkreten Fall hinausgeht, ist nur logisch.