Feierabend und die wichtigste Frage voran: Wo sitzen Sie im Kino am liebsten? Echte Cineasten kennen meistens nur eine Antwort: „Letzte Reihe Mitte, bitte!“ Besonders charmant: durchgewetzte Sessel und kaputte Klappscharniere im allerbesten Programmkino der Stadt. Das Prozedere bleibt immer gleich: raschelnde Popcornschachteln und Stimmen, die verstummen, sobald der Vorspann beginnt. Das Kino gilt als Rückzugsort, zumindest in gewisser Weise. Denn im Dunkeln des Saales ist man zwar unter Menschen, bleibt aber gleichzeitig für sich selbst. Dinge, die im Heimkino fehlen. Kollektives Erleben in einem Raum voller Fremder: Plötzliches Aufschrecken, weil sich der Sitznachbar zuerst gegruselt hat. Was kommt stattdessen?
Für die Einsicht, dass gerade ein neues Biedermeier entsteht, braucht es keine Wissenschaft, höchstens ein Gespräch unter Freunden: 2021 ist das Jahr, in dem wir das große Filmerlebnis auf dem Handy suchen, nebenbei Knoblauchpressen im Internet bestellen und vor 23 Uhr schlafen gehen. Party war gestern. Was bis vor Kurzem als spießig galt, ist jetzt Routine. Bett, Sofa, Kühlschrank – die heilige Dreifaltigkeit. Doch diese Krise mitsamt ihren Unsicherheiten zehrt an den Kräften. Liebe und Leben im Lockdown, Spaß nur sporadisch, Gespräche ausschließlich online – alles meistens hineingepresst in ein WG-Zimmer, das für viele Arbeitsplatz, Schule, Universität und Privatsphäre zugleich ist.
Entscheidungen treffen, experimentieren, ins Nachtleben tauchen: Gleichzeitig nehmen wir zur Kenntnis, dass die Wünsche der Jungen belächelt werden, nur weil sie banal erscheinen. Die Jungen, das hemmungslose Partyvolk, hieß es zu Beginn der Pandemie. Doch das Gegenteil ist der Fall: Eine ganze Generation übt gerade Verzicht. Erlebt eine Jugend, ohne wirklich jung zu sein. Das hat Folgen. Was Experten vermelden, gibt Grund zur Sorge: Die Berichte über eine psychisch stark belastete Generation häufen sich. Nicht zuletzt deshalb, weil sich diese Generation gerade auf dem Sprung ins Leben befindet – ohne Auffangnetz oder doppelten Boden. Die gute Nachricht: Der Jugend gehört die Zukunft. Eine, in der es irgendwann wieder heißt: „Letzte Reihe Mitte, bitte!“
Katrin Fischer