Wien hat sich in den letzten Jahren einmal mehr zu einer Musikhauptstadt Europas gemausert. Sie haben mit Ihrem Label „Ink Music“ dazu beigetragen. Gibt es dafür Gründe oder passiert Kunst einfach so?
HANNES TSCHÜRTZ: Wir fahren momentan die Ernte ein. Diese Entwicklung ist seit rund 20 Jahren in Gange. Stadtpolitisch gab es Impulse, viele Studenten fanden den Weg nach Wien. Die Gürtelmeile mit Musikclubs wie dem Chelsea, dem B72 oder Flex entstanden. Das Popfest und der Sender FM4 wurden gegründet. Es gab Leute, die die Tür für Musiker aufgemacht haben, und Künstler, die jetzt durch diese Tür durchgehen.

Gibt es eine Wiener „Sound-DNA“? Und hat die etwas mit der Vergangenheit zu tun?
Wir haben eine große Bandbreite und lassen uns von Trends nicht unbedingt leiten. Es gibt natürlich vor allem in Deutschland einen Hype um die Wiener Sprache und die Nachkommen des Austropop. Da gab es kurz die Gefahr, dass alle nur mehr wie die zwei großen Bands klingen und aussehen wollten. Das ist aber nicht passiert. Künstler wie Leyya, Soap and Skin, Sharktank, Oehl, Lou Asril oder Parov Stelar gehen da ganz andere Wege.

Was bei den verschiedenen Zugängen trotzdem oft mitschwingt, ist eine gewisse Abwehrhaltung gegen Fröhlichkeit.
Das ist eine bewusste Haltung. Kultur funktioniert, wenn man den Einzelnen ganz tief drinnen erwischt. Dort, wo Empfindungen schlummern. Das können wir Wiener. Die Menschen fühlen sich von uns verstanden.


Viele Bands helfen sich auch gegenseitig und arbeiten zusammen. Gibt es keinen Neid?
Wien ist gleichzeitig groß und klein genug, dass der Neid ausbleibt. In den 90ern waren die Zirkel viel abgekapselter. Heute kennt jeder jeden. In anderen Ländern haben Labels bewusst Songwriter-Camps organisiert, um Bands zusammenzubringen. Hier passiert das von selbst. Das ist produzierter Zufall. Ähnlich wie in der Natur könnte die Regel lauten: Da, wo es Artenvielfalt gibt, gibt es auch eine spannende Landschaft und viel Entwicklung.

Bei all der Toleranz: Gibt es eigentlich ein Genre, das in Wien nicht funktioniert?
Ja, Aggro-Rap. Der ist in der Szene nicht so präsent. Gut so. Wohl auch, weil er nicht so spannend ist.

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