Seit unserem letzten Interview haben Sie ein paar Millionen CDs mehr verkauft, spielten Hunderte von ausverkauften Konzerten auf der ganzen Welt und sind zum Superstar im Jazz-Soul aufgestiegen. Wie gehen sie mit all dem Ruhm und etwas mehr Geld um?
Gregory Porter: Ja, ich glaube es sind ein paar Millionen (lacht), aber eigentlich habe ich keine gesicherte Zahl. Es erlaubt mir jedenfalls, mehr Dinge zu tun, als ich tun wollte. Ich kann auch großzügiger gegenüber meiner Familie und meinen Freunden sein. Künstlerisch kann ich mich mehr entfalten, ich schreibe die Songs wie ich tatsächlich als Person bin.
Sie haben uns einmal verraten, dass sie jährlich etwa 200 Konzerte geben, wieviel sind in diesem Jahr der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen?
Oh, das waren über hundert Konzerte bis jetzt.
Im Herbst kommen Sie auf Promo-Tour für Ihre neue CD "All Rise" nach Europa. Wie stehen im Moment die Chancen, dass die Tour planmäßig verlaufen kann?
Ich hoffe sehr darauf. Wir haben einige Auflagen und Systeme des Distancings, die uns erlauben, die Konzerte einigermaßen gesellschaftlich durchzuführen. Musik ist im Moment eben nicht so kommunikativ. Ich verkaufe zwar weiterhin Platten und bin sehr erfolgreich, aber ich möchte den Leute auch etwas auf der Bühne geben, ich möchte mit ihnen etwas teilen und Ihnen etwas zurückgeben.
Neben der Corona-Krise schwappt in den USA zur Zeit ja auch eine Anti-Rassismus-Protestwelle übers Land. Hat das einen bestimmten Einfluss auf Ihre Musik?
Ja sicher, ich diskutiere viel darüber, besonders über gegenseitigen Respekt im Allgemeinen. Auf der neuen Platte ist etwa ein Song namens "Mister Holland", ein Song über das wahre Schicksal meines Dads. Im Song geht’s aber eher grundsätzlich um Wahrheit. Ich fühlte und fühle den Dampf des Rassismus.
Nach Ihrem Nat King Cole-Album und zwei Live-CDs (Berlin, London) ist "All Rise" nun endlich wieder eine CD mit eigenen Songs. Alles hausgemacht?
Alle Songs sind meine Kompositionen. Ich muss mir manchmal sogar die Platte anhören, um sicher zu sein, ob das stimmt (lacht). Es geht viel um Liebe und um Protest. Ich war sehr aufgeregt, wieder in mein Revier zurückzukehren.
Komponieren Sie am Klavier oder im Schlaf?
Ich komponiere einiges am Klavier, aber die Songs beginnen mit der Idee und den Lyrics, und grundsätzlich kommen dann die Bassline und der Rhythmus (demonstriert brummend und schnalzend Bass und Drums). Dann arbeite ich mit meinem Pianisten Chip Crawford die genauen Harmonien aus. Aber das meiste meiner Kompositionen entsteht zuvor in meinem Kopf.
Ihre neue CD ist vornehmlich am R&B und viel Soul orientiert, es gibt aber deutlich weniger Jazz als früher. Gibt´s dafür einen speziellen Grund?
Es kommt, wie es kommt. Alles ist eine Erweiterung von dem, was ich bin. Jazz ist immer noch da, das mag aber weniger sein als on "Water" oder "Be Good", meinen ersten Platten. Als ich mit meinen Kompositionen ins Studio ging, waren da überhaupt keine Kategorisierungen. Ich sagte, lass uns sehen, was passiert. Und manchmal schreibt sich ein Song sogar von selber. Das Genre war weniger wichtig als Klarheit und Botschaft. Kann sein, das es beim nächsten Mal wieder jazziger wird,
Geht Ihre neue CD am Rande auch noch als Gospel durch?
Was ich versuche, ist, ein Jazzsänger zu sein, der einen Song mit Herz liefert. Ich mache das in einem Genre, das ich schon als Kind hörte. Gospel ist dabei von enormer Bedeutung. Wenn Sie hier Pop und R&B hören, ist das nichts anderes als der Gospel, mit dem ich aufgewachsen bin. Songs wie "Revival" oder "Liquid Spirit", die die Leute als Pop-Songs einstufen, sind nichts anderes als Gospelmusik. Das sind meine Roots, noch bevor ich irgendein Verständnis für Jazz hatte.
Ist Ihre Stimmlage als Baritonsänger nicht doch das beste Register für einen männlichen Soulsänger?
Mag sein, dass es die effektivste Stimmlage dafür ist. Ich liebe die Tatsache, dass meine Stimme wie ein Cello in einem tiefen Schlüssel klingt, aber ich kann auch wie ein Cello in den Highnotes singen. Man kann im Bariton expressiv wie eine starke Löwin sein und gleich danach in die Höhe gehen. Ich denke, es ist ein guter Platz für einen Soulsänger.
Können Sie sich daran erinnern, dass Sie einmal im österreichischen Stockerau eine Platte aufgenommen haben, noch bevor Sie berühmt und ein Bestseller wurden?
Ich erinnere mich. Es war am Weg zum Inntöne-Festival von Paul Zauner. Wir spielten with dem Pianisten Donald Smith, dem Sänger Mansur Scott und den Typen, mit denen wir dann beim Festival waren.
Der Titel dieser CD lautete "Great Voices of Harlem". Sie sind aber in Sacramento/CA geboren, das man nicht gerade das Mekka von Great Black Music bezeichnen kann. Wie ist Ihre Beziehung zu Harlem/NYC entstanden?
Harlem und Brooklyn waren enorm bedeutend für meine Karriere. Der erste Platz nach meinem Umzug aus Sacramento nach New York war eine kleine Wohnung in Harlem, noch bevor ich über 18 Jahre in Brooklyn lebte. Die meisten meiner Gigs damals waren in Harlem. Und alle meine Musiker habe ich in Harlem getroffen. Mein Heim-Jazz Club war St. Nicks Pub (mittlerweile abgebrannt; Anm.) an der 149. Straße. Das hat auch meinen Sound bestimmt.
Gregory Porter: All Rise (Blue Note) auf CD, im Stream und als Download.
Live: 11. November, Wiener Stadthalle.
Otmar Klammer