Ewig hätte er am Rockzipfel, gleichzeitig Gängelband, des herrischen Hiatamadls hängen bleiben können, doch früh schon hat Hubert von Goisern den goldenen Käfig gesprengt, die Flügel aufgespannt und ist weit, weit weggeflogen, um die Töne, Stimmen, Melodien und Schwingungen der Welt zu erkunden.
Nach Tibet führte die Reise und zu den Sufis, nach Mali und Tansania, auch die sumpfigen Klänge des amerikanischen Südens hat dieser Rast-, aber nie Ruhelose in den alpenländischen Tiegel eingeschmolzen, und um die musikalische DNA Europas zu erforschen, hat er zwei Jahre lang die Donau erkundet. In einen ganz neuen Kontinent ist Hubert von Goisern als Hubert Achleitner im Frühjahr aufgebrochen. Mit „flüchtig“ legte er seinen ersten, von Kritik und Lesern sehr wohlwollend aufgenommenen Roman vor – ein bewegendes Roadmovie, wie könnte es anders sein.
Von der Schreibstube des Hubert Achleitner ging es schnurstracks ins Tonstudio des Hubert von Goisern, wo er jenen Songreigen aufnahm, der sich jetzt auf dem neuen Album „Zeit und Zeichen“ findet. „Das Bild, das mich verfolgte, war das einer riesigen Welle, die sich wie ein Tsunami aufbaut und die wir surfen müssen“, schreibt Goisern im Begleittext zur Platte. Und weiter: Obwohl die Lieder in der Zeit vor Corona entstanden seien, „sind viele durchdrungen von etwas Ungreifbarem, Abgründigem“.
Ungreifbar sind diese insgesamt 17 Songs tatsächlich. Uferlos, maßlos, wunderbar unberechenbar, ziellos im positiven Sinn. Das Konzept besteht darin, dass es keines gibt. Schon der Beginn ein Paukenschlag: „Freunde“, eine wuchtige, wütende Rap-Arie über den Librettisten und Schlagertexter Fritz Löhner-Beda, der ins KZ Auschwitz deportiert wurde und dort umkam – schon zuvor im Stich gelassen von seinem „Freund“, dem großen Franz Lehár.
Es folgt das brodelnde „Sünder“, eine funkensprühende Adaption von Nina Simones „Sinnerman“, dann galoppiert der „Braune Reiter“, den absurden Traum vom Urgermanen in den löchrigen Satteltaschen, in den (Sonnen-)Untergang. Nach dem harten, kämpferischen Intro das zarte Mittelstück: Goisern zeichnet – oft nur begleitet von leisen Klaviertupfern oder sanften Streichern – melancholische Lebens- und Liebeslieder an die Wand.
Wer sich jetzt in der blauen Stunde wähnt, liegt falsch. Denn dieses Album schlägt Haken am laufenden Band. „Eiweiss“ und „Elektro“ könnten als luftig-lustige Sommerhadern durchgehen. Dann wieder taucht der „Grönlandhai“ vor Hawaii auf, im „Jodler für Willi“ und im „Gamstod“ kommt die bislang kaum eingesetzte Quetschn zum Einsatz, „A Tag wie heut“ ist ein rescher Rock-Rumpler – und mit „Tierische Polka“ fegt der Hubert von Goisern ins furiose Finale.
Und aus. Und uff! Was für ein kunterbunter Hundling. Was für eine abenteuerliche Reise. Sie bereitet Freude, sie stimmt nachdenklich, sie macht neugierig. Und sie hat diesmal nicht rund um die Welt geführt, sondern durch den inneren Globus von Goisern. Was wahrscheinlich auf das Gleiche hinausläuft.
„Viele haben mir gesagt, dass ich so eine Platte, die überhaupt keinen roten Faden hat, nicht machen kann“, sagte Hubert von Goisern unlängst im Interview mit der Kleinen Zeitung. Zum Glück hat er – wie immer – nicht auf gute Ratschläge gehört.
CD-Tipp: Hubert von Goisern. Zeiten & Zeichen. Sony Music.