Dass man von Tina Turner schon länger nichts mehr gehört hat, das hat seine guten oder vielmehr schlechten Gründe. Dieser Phönix, der mehrfach aus rauchenden Aschehaufen aufgestiegen war, um sich mit unglaublicher Willensstärke in lichte Karrierehöhen zu schwingen, hatte in den letzten Jahren mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Und wie so oft im Leben der löwenmähnigen Stehauffrau, waren auch in den letzten Jahren die Flüsse tief und die Berge hoch, ein Wechselspiel aus Trauer, Schmerz und Glück.

2013 hat Turner Erwin Bach, ihren langjährigen Lebensgefährten, im Zuge einer buddhistischen Hochzeitszeremonie auf ihrem Anwesen am Zürichsee geheiratet, noch im gleichen Jahr erlitt sie einen Schlaganfall. Drei Jahre später, 2016, erkrankte Tina Turner an Darmkrebs – und im Jahr darauf der nächste Schlag: Ihre Nieren versagten, und Turner überlebte nur dank der Organspende ihres Mannes. Und dann, 2018, die ultimative Hiobsbotschaft, der tiefe Abstieg ins Tal der Tränen: Turners Sohn Craig, 60 Jahre alt und schon immer ihr „Sorgenkind“, verübte Selbstmord. „Ich weinte und schrie, dass ich es nicht glauben könne“, schreibt Turner in ihrer Autobiografie „My Love Story“. Und weiter: „Irgendwie werde ich auch das überstehen, das weiß ich. Ich bin stark.“

Ja, Tina Turner hat – wie so vieles in ihrem Leben – auch das überstanden. Am 26. November feiert sie ihren 80. Geburtstag. Gesundheitlich geht es ihr wieder einigermaßen gut, an eine Rückkehr auf die Bühne ist allerdings nicht zu denken. „Fully retired“, lautet die Auskunft der Managerin bei Anfragen jedweder Art. Auch in der Öffentlichkeit zeigt sie sich nur selten, zuletzt 2017 bei der Premiere des Musicals über ihre bewegte und bewegende Lebensgeschichte – „Simply the Best“. Was mit dieser Huldigung (vorerst) endete, begann am 26. November 1939 in Nutbush, einem verschlafenen Nest in Tennessee, tief im Süden der USA. Viele Jahre später schrieb Turner einen Song über ihren Geburtsort, der zum Welthit werden sollte: „Nutbush City Limits“.

Geboren als Anna Mae Bullock, wuchs sie in einem turbulenten familiären Umfeld auf und traf Mitte der 50er-Jahre auf jenen Mann, der die „City Limits“ des engen Nutbush zwar sprengte, aber auch ihr Leben in ein hochexplosives Martyrium verwandelte: Ike Turner. Als Musiker genial, aber als Mensch eine buchstäbliche Gewalt, entdeckte er das große Bühnentalent und die ebenso große Rockröhre des jungen Mädchens, gründete mit Tina, wie er sie kurzerhand nannte, die „Ike und Tina Turner Revue“ und startete mit Songs wie „River Deep – Mountain High“ oder dem CCR-Cover „Proud Mary“ in Richtung Weltkarriere.

1962 wurde glanzlos geheiratet, die Hochzeitsnacht verbrachte das Paar auf ausdrücklichen Wunsch des Gatten in einem Bordell. Es folgte Hit auf Hit, im schmerzhaft doppeltem Sinn. Ike Turner prügelte seine Ehefrau durch Hitparaden und durchs Leben, bis zu jenem denkwürdigen Tag, der als Symbol des (weiblichen) Widerstandsgeistes in die Annalen der Rockgeschichte einging.

Am 4. Juli 1976 entfloh Tina Turner bei Nacht und Regen ihrem Peiniger. Das Gesicht von Schlägen aufgequollen, in der Tasche 36 Cents, an der Hand ihre zwei Söhne. Ganz unten angekommen, hielt sich Turner mit miesen Clubauftritten und noch mieseren Jobs über Wasser. Aber: „Lieber jemand anderes Putzfrau als Ike Turners Ehefrau“, schreibt sie in ihrer Autobiografie.

Und dann jenes ebenso denkwürdige Jahr, in dem der Vogel mit den vormals gebrochenen Flügeln erneut aus der Asche aufstieg und triumphierend aus eigener Kraft in den Musikolymp hochflog. Unter der Ägide des Dire-Straits-Frontmanns Mark Knopfler nahm Tina Turner 1984 ihr fulminantes Comeback-Album „Privat Dancer“ auf.

Die folgende Solokarriere hat Märchencharakter: Turner füllt Säle und Stadien, räumt Grammys ab und landet mit einem Auftritt vor 180.000 Zuschauern in Rio de Janeiro im Guinnessbuch der Rekorde. Mit Grandezza, lebenssatter Stimme, Löwenmähne und Minirock schreitet sie voll unbändiger Energie durch ein selbstbestimmtes Leben. Mehrere „letzte“ Welttourneen folgten, bis sich Tina Turner vor zehn Jahren endgültig aus dem Scheinwerferlicht zurückzog. Eine Lichtgestalt bleibt sie auch abseits der Bühne.

Best of Tina Turner:

1. Ike & Tina Turner: "River Deep - Mountain High"
Dieses Album mit Ike Turner erschien in England bereits 1966, in den USA erst 1969. Es beinhaltet neben dem ikonischen Titelsong die Hits „A Fool in Love“ und „I Idolize You“. Produziert wurde das Album teilweise von Phil Spector.

2. Tina Turner: "Privat Dancer"
Eigentlich bereits das fünfte Soloalbum, aber damit schaffte Turner ihr Comeback und startete ihre unglaubliche Solokarriere. Der Titelsong stammt aus der Feder des Produzenten Mark Knopfler. Weiterer Hit: „What’s Love Got to Do with It?“

3. Tina Turner: "Twenty Four Seven"
Das letzte reguläre Album von Turner aus dem Jahr 1999. Das Kernthema des Albums ist Überleben. Die stimmliche Kraft wurde von der Kritik gelobt, die allzu glatte Produktion kritisiert. Anspieltipp: „When the Heartache Is Over“.