Kaum hatte die Boyband One Direction Ende 2015 ihr Album "Made in the A.M." veröffentlicht, kündigten die Burschen eine Auszeit an. "Vorübergehend", hieß es damals, von 18 Monaten Pause war die Rede. Seitdem basteln Niall Horan, Liam Payne, Harry Styles und Louis Tomlinson an ihren Solo-Karrieren mit keinerlei Anzeichen einer Wiedervereinigung.
Auch andere Gruppen wie NSYNC lösten sich auf, Westlife und Take That versuchten nach mehreren Jahren Pause den Neuanfang. 2011 und 2012 standen New Kids on the Block mit den Backstreet Boys dann als "Supergroup" NKOTBSB auf der Bühne. War es ein Ringen um Relevanz? Wie erfolgreich sind Boygroups der 1990er-Jahre noch?
Von einem Ende der Boyband will Howie Dorough von den Backstreet Boys nichts wissen. Ganz im Gegenteil: Am Freitag erscheint nach mehreren Jahren Stille das neue Album "DNA", Dorough spricht im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur von einem "zweiten Comeback". Aber auch er gesteht: "Wir versuchen nicht, nochmal 20 Jahre alte singende Kids zu sein." Die fünf Musiker sind heute im Schnitt 42 Jahre alt.
"Wir sind alle verheiratete Männer und haben Kinder", sagt Dorough. "Wir sind reifer, gebildeter und wissen etwas besser, wer wir sind." Frauen liebten sie immer noch, den "romantischen Liebes-Song" werde es weiterhin geben. So dreht sich auch "DNA" über zwölf Titel viel um Liebe, Leidenschaft und Herzschmerz.
Musikalisch haben die Backstreet Boys sich mit "DNA" geöffnet, R&B- und Country-Elemente durchziehen das Album. Überraschend klingt etwa der Dance-Titel "New Love", bei dem die fünf zu einprägsamem Basslauf mit tiefen Männerstimmen singen. Die vorab veröffentlichte Single "Don't Go Breaking My Heart" ist aber klassischer Backstreet Boys-Sound. Im Mai und Juni sind "BSB" unter anderem in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf Tour.
Haben Boybands an Relevanz verloren?
Dennoch stellt sich die Frage: Haben Boybands, aber auch Musik-Gruppen und Bands allgemein an Relevanz verloren? Die 1990er-Jahre waren stark geprägt vom Rock-Genre (das meist mehrere Instrumente erfordert) und Gruppen wie Nirvana oder den Red Hot Chili Peppers. Um das Jahr 2000 wurden Rap, R&B und Pop beliebter, die größten Namen waren Solisten wie Eminem, 50 Cent oder Britney Spears. Auch die Spitzenmusiker des laufenden Jahrzehnts sind oft Solo-Künstler, sie heißen Kanye West, Adele, Ariana Grande, Ed Sheeran, Taylor Swift oder Drake.
"Pop hat über die letzten Jahre eine besonders fruchtbare Phase erlebt, was mit der starken Leistung von Solo-Künstlern zusammenfällt", sagte Geoff Taylor vom britischen Musikverband BPI dem "Independent" 2016. Ein Grund für den Erfolg könnte auch die Masse an Casting-Shows wie "X Factor", "The Voice" und vergleichbaren Formate in Europa sein, in denen vor allem Solo-Künstler gegeneinander antreten.
Dazu kommen Probleme in der Gruppendynamik. Viele Musiker liefen nach Karriereabschnitten mit Bandkollegen auch allein zu Höchstform auf, etwa Michael Jackson (Jackson 5) oder Eric Clapton (Yardbirds, Cream, Derek and the Dominos). Auch Superstar Beyonce (Destiny's Child), Dr. Dre (N.W.A.) und Lauryn Hill (Fugees) waren vor ihren Alleingängen in Bands unterwegs.
Individualität
"In einer Gruppe verliert man leicht seine Individualität", sagt Backstreet Boy Dorough. Auch deshalb lösten sich bestehende Bands häufig auf. Um so einen Bruch zu vermeiden, treffen die Backstreet Boys all ihre Entscheidungen gemeinsam und stimmen demokratisch ab. Ein Patt ist zu fünft unmöglich.
Die Hysterie der 90er-Jahre mag die Gruppe heute nicht mehr auslösen, dafür kreischen heute Fans von Boybands BTS, EXO und Big Bang aus Südkorea. BTS (Boygroup Bangtan Boys) brach mit der Single "Idol" sogar Taylor Swifts Rekord für die meisten Youtube-Klicks binnen der ersten 24 Stunden. Konzerte der Band in den USA und Europa sind oft ausverkauft, der "Rolling Stone" spricht von ihrer "Eroberung des Westens".
Die Bezeichnung "Boyband" hörten die Backstreet Boys erst, als sie Mitte der 1990er-Jahre in Nürnberg auftraten, sagt Dorough. Reporter und Promoter hätten sie mit Boyzone, Worlds Apart, Caught in the Act und Take That verglichen. Boybands seien ein "Haufen hübscher Jungs", die singen aber vor allem gut aussehen, habe es geheißen. "Wir kannten die Bezeichnung überhaupt nicht", sagt Dorough. "Wir dachten, der Begriff würde in Europa bleiben. Wir sind ihm nie entkommen. Jetzt akzeptieren wir ihn voll und ganz."
Johannes Schmitt-Tegge/dpa