Es ist natürlich ein bisschen vermessen, hier mit einem biblischen Beispiel einzusteigen, aber wo kommt einem im 21. Jahrhundert so schnell eine wundersame Vermehrung unter? Eben. Alljährlich vermehrt sich also das 1800-Seelen-Dorf Wacken nahe Hamburg auf wundersame Weise auf über 75.000 Bewohner. Was vor 29 Jahren als kleines Heavy-Metal-Festival mit rund 800 Besuchern begonnen hat, ist längst zum Hochamt der musikalisch harten Gangart geworden. Das Wacken Open Air, kurz W:O:A genannt, ist das größte Heavy-Metal-Festival der Welt, die Tickets sind regelmäßig in Rekordzeit ausverkauft.
Knapp 200 Bands, darunter Legenden wie Judas Priest, Doro Pesch oder Danzig, sorgen von heute bis Samstag auf mehreren Bühnen dafür, dass sich der Aggregatzustand beim Publikum auf „Heavy“ einpendelt. Auch das Wetter schließt sich mit Rekordhitze der Tonart an. An diesen drei Tagen bekommt Metal made in Germany eine andere Bedeutung, der globale Zuspruch bleibt: Rund 30 Prozent der Besucher reisen aus dem Ausland an - von Asien bis Südamerika.
Es mag die Welt zu Besuch kommen, aber der Nukleus ist und bleibt das Dorf selbst: Es mag Heavy Metal ohne Wacken geben, aber es gibt kein Wacken ohne Heavy Metal. Beinahe das ganze Dorf ist am Umsatz beteiligt: Vom Dorfwirt bis zum Freibad, sogar die Kirche lädt am Sonntag zur „Metal Church“ und ist so voll wie nie. Die „Metalheads“ sind hier also willkommen, auch wenn sie nicht wie die typischen Sonntagskirchgänger wirken mögen. Um es mit Lemmy Kilmister, dem 2015 verstorbenen Motörhead-Chef, zu sagen: „Ich sehe nicht aus wie ein Gentleman - ich benehme mich wie einer.“
Große Zwischenfälle sind in all den Jahren ausgeblieben. Das mag daran liegen, dass man trotz der 75.000 Besucher von einer Art Familienfeier sprechen kann, denn Metal-Fans sind markentreu. Musikalische Moden? Heillos überschätzt. In einer Welt, die von Hypes und Hippness strukturiert wird, gerät der Heavy-Metal-Fan nicht ins Wanken, er bleibt in der Spur. Denn er weiß: Heavy Metal ist nicht die Titanic, sondern der Eisberg.