Sie sind 71 Jahre alt und haben eine neue CD aufgenommen, die total jung und knackig daherkommt – und es gibt hymnische Kritiken dafür. Überrascht?
BORIS BUKOWSKI: Erfreut. Sogar im Radio werde ich gespielt, unglaublich!
Warum haben Sie sich 18 Jahre Zeit gelassen?
BORIS BUKOWSKI: Ich habe mir gedacht, wenn ich schon etwas Neues mache, dann muss es so gut sein, dass es über jeden Zweifel erhaben ist. Und außerdem: Man hat es in diesem Land als Austro-Rocker nach wie vor nicht leicht. Die Radiostationen sind nur daran interessiert, schwarze Zahlen zu schreiben, dabei sollten sie einen Bildungsauftrag haben. Das Zeichen, das dadurch gesetzt wird, ist verheerend. Nämlich: Man muss fortgehen, damit man es zu etwas bringt.
Aber nicht im Radio gespielt zu werden, kann für einen Künstler nicht der Grund sein, nicht mehr produktiv zu sein.
BORIS BUKOWSKI: Wenn Musik nicht mehr gehört wird, wird auch nicht darüber geschrieben. Und wenn nicht darüber geschrieben wird, kommt keine Sau zu den Konzerten. So einfach ist das. Ich selbst habe die Not zur Tugend gemacht. Ich bin mit einem Musiker in kleine Klubs gegangen und habe zwischen den Songs Anekdoten aus meinem Musikerleben erzählt.
Ändert sich das jetzt?
BORIS BUKOWSKI: Ja, es wird eine Tour geben – Bukowski and Band.
Die neue CD heißt „Gibt’s ein Leben vor dem Tod?“. Das ist nicht wirklich originell.
BORIS BUKOWSKI: Aber ich hab mir etwas überlegt dabei. Für mich ist das Leben im besten Fall ein geiles Abenteuer mit tödlichem Ausgang. Aber nur dann, wann man den Mut hat, sich auf das Abenteuer Leben einzulassen. Wenn man diesen Mut nicht hat, wird das Leben zu einem Nichts – aber der Ausgang ist trotzdem tödlich. Das heißt, man ist schon lange tot, bevor man stirbt.
Haben Sie sich diese Einstellung selbst erarbeitet oder gibt es Vorbilder?
BORIS BUKOWSKI: Ich habe irrsinnig viel von meiner Mutter gelernt. Es gehört nicht nur Mut zum Leben, sondern auch die Demut, nichts für selbstverständlich zu nehmen. Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben, sie wurde fast 100 Jahre alt. Und sie hatte bis zum Schluss die Gabe, auch Kleinigkeiten zu sehen.
Im Song „Kunst ist Leben“ ist vom „Sehen“ und „Schauen“ die Rede. Was ist der feine Unterschied?
BORIS BUKOWSKI: Erkennt man beim Schauen nichts, dann sieht man nichts.
In einem anderen Lied stellen Sie die Frage: „Was ist aus unseren Idealen und Träumen geworden?“ Sie sind seit mehr als 50 Jahren im Musikgeschäft. Welche Ideale und Träume blieben da auf der Strecke?
BORIS BUKOWSKI: Sicher ist auch bei mir das eine oder andere verloren gegangen bzw. unerfüllt geblieben, aber das passiert schleichend und vor allem merkt man es selbst meist nicht. Ich finde zum Beispiel, dass Erfolg sehr gefährlich ist, deshalb finde ich Misserfolg so wichtig. Erst dann beginnt man zu reflektieren. Ich habe beides erlebt.
Hat es bei Ihnen jemals den Zeitpunkt gegeben, wo Sie gesagt haben: So, es reicht jetzt. Niemand spielt meine Songs, ich hör auf und mache etwas ganz anderes.
BORIS BUKOWSKI: Nein, so weit ist es zum Glück nie gekommen. Wenn ich vor 100 Menschen gespielt habe und diese haben mir aufmerksam zugehört, habe ich mir gedacht: Passt, das ist okay so. Damit kann ich auch leben.