Fällt der Name Beth Ditto, folgen schnell Bezeichnungen wie Riot Grrrl, LGBT-Ikone und Mode-Muse auf den Fuß. Aber in erster Linie ist die 36-Jährige aus Arkansas eine wunderbare Entertainerin: Vermutlich hätten allein Dittos Stimme und Bühnenpräsenz beim Auftritt am Donnerstagabend in der Wiener Arena das Publikum verzückt. Als Zugabe war die Musik auch noch gut, stellenweise sogar mehr als das.
Ditto präsentiert auf der aktuellen Tour ihr erstes Solo-Album "Fake Sugar". Der Sound mag weniger rebellisch sein als jener ihrer früheren Band Gossip, aber Gossip ist seit 2016 Geschichte, Ditto die Gegenwart. Die Sängerin hat ihr Spektrum stilistisch erweitert, auf ewig die Disco-Rock-Krawallnudel zu geben wäre wohl auch wenig befriedigend. "Fake Sugar" führt gelungen Dittos Persönlichkeit, eine gediegene Weiterentwicklung und ihre altbekannten Trademarks zusammen.
"Standing In The Way Of Control"
Es zeugte nicht von mangelnder Qualität des neuen Materials, dass der Gossip-Song "Standing In The Way Of Control" von 2006 das beeindruckendste Stück im Programm von Dittos Gastspiel war. Das Lied, eine wütende Reaktion auf die Bush-Administration und deren Verweigerung des Rechts auf Ehe für Lesben und Schwule, reiht sich in die Linie jener Pop- und Rock-Klassiker ein, die das Gefühl einer Generation auf den Punkt bringen. So etwas gelingt nicht alle Tage. Dittos Band verstand es, die Dringlichkeit der Nummer wiederzugeben - ein großer Moment in einem knackigen, 70 Minuten dauernden Konzert.
Auch das Solo-Schaffen überzeugte: Der eingängige Opener "Oh My God" etwa, oder das Titelstück "Fake Sugar" mit seinem unwiderstehlichen Groove und ganz besonders die letzte Zugabe "Fire", bei dem Ditto als Soul-Röhre glänzte. Das Live-Arrangement war rauer und erdiger, Ditto in bester Laune ("It's fucking comedy! Always. Alles, alles alles."), die Band verlässlich. "Open Heart Surgery" ließ man mit Michael Jacksons "Thriller" ausklingen, die Single "Ooh La La" stampfte daher, dass die Beine nicht stillstehen konnten. Ditto musste auch keine politischen Reden schwingen, ihre Coverversion von Erasures "A Little Respect" sprach für sich.
Der Superhit "Heavy Cross", an dem 2009 wohl niemand der ein Radio besitzt oder abends ausgeht vorbeikam, erntete naturgemäß die heftigste Reaktion. Das wird sich auch nie ändern, selbst wenn Ditto noch zehn tolle Alben herausbringt.
Wolfgang Hauptmann/APA